Die Geschichte der Freidenker
Von Anton Szanya
Vorläufer der Freidenker in Österreich
- 1868; Die “Freie Kirche der Vernunft” wird von Eduard Schwella gegründet
- 1869 – 1870; Gründung des ersten Freidenkervereins durch Michael Biron m Graz
- 1871; Ausweisung von Michael Biron aus Osterreich
Die ersten Wiener Freidenker
- 1887; Gründung des “Vereines der Konfessionslosen” in Wien, der erste Vorsitzende Erwin Plowitz, Arzt und Schriftsteller, muss aufgrund behördlichen Drucks seine Funktion niederlegen.
- 1891; Der sozialdemokratische Reichratsabgeordnete Ludwig Wutschel wird Vorsitzender des “Vereines der Konfessionslosen”
- 1893; Umbenennung in “Verein der Freidenker Nieder-Österreichs. Der Verein wird zu einem der wichtigsten Vorkämpfer in kultur- und gesellschaftspolitischen Zielen der Sozialdemokratie. Die Hauptgebiete seiner Aktivitäten sind die Schulfrage und die Eherechtsfrage, in der ein in heftigem Gegensatz zur katholischen Kirche steht. Ab 1895 gibt der “Verein der Freidenker Nieder-Österreichs” seine Zeitschrift Mittheilungen des Vereines der Freidenker Nieder-Österreichs heraus, deren Name ab 1903 auf Der Freidenker gekürzt wird.
- 1905; Gründung der Vereine “Freie Schule” und “Eherechtsreformverein”, in welchen Mitglieder des “Vereins der Freidenker Nieder-Österreichs” in leitenden Funktionen tätig sind.
- 1918; Umbenennung des Vereins in “Freidenkerbund Österreichs” unter Karl Frantzl. Starke Gruppen in Linz und Steyr etablieren sich. Man führt eine eigene Fest- und Feierkultur ein, die wesentlich zum Aufbau der Arbeiterkultur-Bewegung beiträgt und als Gegenmodell zur klerikal-katholisch geprägten Kulturszene dient. Bis 1919; Zusammenarbeit mit anderen Vereinen, die für ein wissenschaftlich orientiertes Weltbild und religionsfreien Ethik stehen. Hierbei vor allem mit Ernst Haeckels “Monistenbund” und die “Ethische Gemeinde”, welche von Friedrich Jodl gegründet wurde.
- 1919; Zusammenschluss der Vereine unter dem “Freien Bund kultureller Vereine Wiens”
- 1924; I. Internationale Kongress proletarischer Freidenker in Wien.
- 1925; Internationale Proletarischer Freidenker, Karl Frantzl wird Generalsekretär
- 1933; Behördliche Auflösung des Vereins durch Dollfuß
- 1933 – 1945 Unterdrückung und Widerstand, prominentestes Opfer ist Max Sievers in Deutschland
- 1948; Neugründung des Vereins. Vorsitzender ist Franz Ronzal Eine Rechtskontinuität mit dem alten Freidenkerbund wird durch die Bundesregierung nicht anerkannt, wodurch dem neuen “Freidenkerbund Österreichs” auch keine Ansprüche auf eine Rückerstattung des Vermögens des alten Freidenkerbundes zuerkannt werden
- 1978; Zusammenschluss verschiedener Gruppierungen unter “Freidenkerbund Österreichs – Institut für wissenschaftliche Weltanschauung” unter Richard Klucsarits.
- 1981; nach langer Zeit nehmen wieder Österreichische Delegierte an Kongress der Weltunion der Freidenker” teil. Die Zeitschrift Der Freidenker – Geist und Gesellschaft erhält ein neues Aussehen und bringt in steigendem Ausmaß populärwissenschaftliche Beiträge aus verschiedenen Gebieten der Wissenschaft. Vielen Bestrebungen des Freidenkerbundes aus dieser Zeit ist eine die Jahrzehnte überdauernde Nachwirkung beschieden. Die Einführung der staatlichen Zivilehe, die Möglichkeit der Ehescheidung, moderne Ansätze in der Kindererziehung und der schulischen Pädagogik, die Möglichkeit des Austritts aus einer Religionsgemeinschaft durch eine diesbezügliche Erklärung vor einer staatlichen Behörde, die Feuerbestattung und anderes mehr, alles Dinge die als Selbstverständlichkeiten in das öffentliche Bewusst sein eingegangen sind, gehen letztlich auf die politische Arbeit des Freidenkerbundes zurück.
Kontinuierlicher Aufbau, Teil I
Der Freidenkerbund gewinnt in den folgenden Jahren seine innere und äußere Festigkeit wieder. Der im Jahr 1985 auf Richard Klucsarits folgende Vorsitzende Anton Szanya setzt erste Schritte zur bundesweiten Ausdehnung der Organisation der Freidenkerbundes. Nach der nur kurzlebigen Einrichtung eines Stützpunktes in Vorarlberg im Jahr 1986 kommt es im folgenden Jahr zur Gründung eines Stützpunktes in Linz. Unter der Leitung von Horst Simmer entwickelt sich dieser Stützpunkt innerhalb von zwei Jahren zur Landesgruppe Oberösterreich. Im Jahr 1989 werden die Mitglieder in Burgenland, Niederösterreich und Wien zur Landesgruppe Ost zusammengefasst.
Unter dem seit 1990 amtierenden Bundesvorsitzenden Wolfgang Soos kann die Organisation des Freidenkerbundes noch um Stützpunkte in Salzburg und Kärnten erweitert werden. Die erfolgreiche Durchführung des 52. Kongresses der” Weltunion der Freidenker” im Jahr 1994 in Wien zeigt, dass der “Freidenkerbund Österreichs” auch in der internationalen freidenkerischen Bewegung wieder an Ansehen und Gewicht gewonnen hat Neben politischen Maßnahmen führt der Freidenkerbund vor allem Bildungsmaßnahmen durch. Seit 1997 werden alljährlich gesamtösterreichische Treffen organisiert, bei denen neben dem informativen wissenschaftlichen Programm auch der Kontaktpflege der Mitglieder untereinander eine wichtige Funktion zukommt.
Mit der Einrichtung einer Homepage unter der URL www.freidenker.at im Jahr 2001 ist der “Freidenkerbund Österreichs” auch in das Internet-Zeitalter eingetreten. Langsam gelingt es dem “Freidenkerbund Österreichs”, wieder in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. In den zurückliegenden Jahren sind Mitglieder des Freidenkerbundes Gäste in Talk-Shows des Fernsehens mit religiösen Inhalten zu Gast gewesen. Unabhängige Radiosender strahlen Programme mit Mitgliedern des Freidenkerbundes aus. Einige Mitglieder treten auch mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen an die Öffentlichkeit. Auch einige Politikerinnen und Politiker kann der Freidenkerbund zu seinen Mitgliedern zählen.
Im Vergleich mit der Breitenwirkung, die der Freidenkerbund in den zwanziger Jahren entfalten hat können, mögen diese Erfolge gering erscheinen. In Zeiten einer Reklerikalisierung der Österreichischen Politik, wie sie von der gegenwärtigen Regierung betrieben wird, sind sie nicht ganz ohne Bedeutung ‘Und sicher eine Ausgangsbasis für weitere Fortschritte. Die Skandale, welche die katholische Kirche in Österreich erschüttern, wie auch der wachsende Einfluss des Fundamentalismus im Islam, der in Österreich bereits die drittgrößte Religionsgemeinschaft ist, wecken auch wieder das Bewusstsein dafür, dass Religion immer eine Gefahr für eine freie, demokratische Gesellschaft ist.
Prof. Dr. Anton Szanya, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Österreichischen Volkshochschularchivs, war von 1985 bis 1990 Bundesvorsitzender des Freidenkerbundes Österreichs.
Kontinuierlicher Aufbau, Teil II
Nach dem überraschenden Tod von Dr. Wolfgang Soos wird die Vereinsführung zuerst von Dr. Martin Luksan und später von Theo Maier übernommen. Schon in dieser Zeit kommt es zu einer immer stärkeren Abgrenzung des Freidenkerbundes von der Sozialdemokratie. Dies wird unter anderem auch an der Vereinszeitschrift deutlich, welche – sehr zum Missfallen mancher Sozialisten – auch islamkritische Beiträge veröffentlicht. Der Verein entwickelt sich Schritt für Schritt in Richtung einer überparteilichen Plattform, welche sich für Säkularisierung und für die Rechte aller Konfessionsfreien einsetzt. Eine weitere Stärkung erfährt der Freidenkerbund unter der Führung des nächsten Vorstandssitzenden, Dr. Gerhard Engelmayer. In dieser Zeit kommt es gleichzeitig zu einer weltweiten Evolution des Freidenkertums (engl. Freethinking). Diese neue Entwicklung präsentiert sich als Humanismus der Neuzeit und bewegt viele Freidenkervereine weltweit in eine neue, modernere Richtung.
Vor dieser Herausforderung stand zuletzt auch der österreichische Freidenkerbund. Vor allem ist eine einfache und an Stammtischen „ausgelaugte“ Religionskritik, in Zeiten einer rapiden Gesellschaftsentwicklung und digitalen Medien, zum veralteten modus operandi geworden. Dies impliziert nicht, dass Religionskritik keine Rolle mehr spielt, ganz im Gegenteil. Es bedeutet, dass Menschen immer stärker nach proaktiven Handlungen basierend auf ethischen Grundsätzen verlangen, die eine pragmatische Alternative gegenüber Religionen bieten. Gleichzeitig soll diese Alternative bestehende Errungenschaften des Menschentums und der Menschenrechte schützen und weiterentwickeln können. Im Lichte dieser Forderungen musste sich der Freidenkerbund Österreich auch reorganisieren und seine Prioritäten und Aktivitäten neu setzen.
Diese neue Zeit des Freidenkertums legte sich im Rahmen des Wiederbelebens des modernen Humanismus immer mehr fest. Das Freidenkertum des 20.Jahrhunderts, wie auch alles andere in der Natur oder in der Gesellschaft, evolviert in diese proaktive Form, die sich im 21.Jahrhunderts als Humanismus durchsetzt. Dieser moderne Humanismus, oft auch evolutionärer Humanismus genannt, umfasst diesmal die bunte Vielfalt der einzelnen aber kompatiblen philosophischen Stellungnahmen und Lebenshaltungen, die oft im politisch-philosophischen Diskurs alleinstehen. Praktisch vorgestellt, besteht der moderne Humanismus nicht nur aus freidenkerischer Kritik, sondern verbindet einzelne Stellungnahmen oder Aktivitäten, wie beispielsweise Atheismus, Pazifismus, Wissenschaft, in einer Form, die dann nicht nur eine, sondern mehrere ethische Richtlinien enthält. Damit erfüllt diese gesellschaftliche Bewegung die Voraussetzung, sich als Weltanschauung effektiver durchzusetzen.
Im Jahr 2018 haben die österreichischen FreidenkerInnen den nächsten Sprung in ihrer Gedankenevolution gemacht. Der Verein bekommt den Namen Humanistischer Verband Österreich und setzt sofort entscheidende Schritte, die zu einer stärkeren medialen Präsenz führen. Dazu zählt auch der erste Humanisten-Kongress in Österreich, der im Jahr 2019 erfolgreich abgehalten wurde und sehr positive Reaktionen auslöste.
Mag. Dragan Petrovic, Rechtswissenschafter und Präsidiumsmitglied des HVÖ
Dr. Ronald Bilik, Althistoriker und ehemaliger stv. Präsident des HVÖ
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