Ein Jahr Sterbeverfügungsgesetz in Österreich | Bericht

Mit Beginn des Jahres 2022 trat in Österreich das neue Sterbeverfügungsgesetz in Kraft. Seitdem ist assistierter Suizid prinzipiell erlaubt, sofern es sich bei den Sterbewilligen um schwer oder unheilbar Kranke handelt, die volljährig und entscheidungsfähig sind.

Mit zwei ärztlichen Gutachten als Voraussetzung kann eine notarielle Sterbeverfügung errichtet werden, die nach einer definierten Wartezeit zum Bezug des letalen Medikaments (Na-Pentobarbital) berechtigt. Das weitere Prozedere ist nicht durch das Gesetz geregelt.

Nachdem die Beihilfe zum Suizid mit der wegweisenden Entscheidung des Verfassungsgerichts im Dezember 2021 entkriminalisiert wurde, war es die Absicht des Gesetzgebers, den Zugang zu Freitodhilfe derart zu regeln, dass Missbrauch, Zwang oder voreilige Entscheidungen möglichst ausgeschlossen werden können.

Wie befürchtet sind damit so hohe administrative Hürden eingezogen worden, dass sie von manchen sterbewilligen Personen nicht überwunden werden können – besonders wenn keine engagierten Familienmitglieder oder hilfreichen Freunde zur Stelle sind.

Hier böte sich für Sterbehilfeorganisationen die Chance, helfend einzuspringen. Diese Möglichkeit wird jedoch durch den engen gesetzlichen Rahmen stark eingeschränkt.

Im neuen Sterbeverfügungsgesetz sind unter anderem ein strenges Werbeverbot sowie ein Verbot wirtschaftlicher Vorteile festgeschrieben. Durch die angedrohten hohen Strafen könnten Organisationen wie die ÖGHL (Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende) in ihrer Existenz bedroht sein, falls sie mit dem Gesetz in Konflikt kommen.

Um Rechtssicherheit zu erlangen, gab die ÖGHL daher unmittelbar nach dem Nationalratsbeschluss ein juristisches Gutachten in Auftrag, auf dessen Basis der Handlungsrahmen für das zukünftige Angebot abgesteckt werden sollte.

Die Ergebnisse flossen in einen internen Diskurs ein und führten zu einer Anpassung der Vereinsstatuten. Als Konsequenz wird die ÖGHL bis auf weiteres keine physische Hilfeleistung anbieten und diese auch nicht vermitteln. Das Angebot des Vereins beschränkt sich derzeit auf Beratung und Information, Hilfe beim Ausfüllen der Sterbeverfügung und Vermittlung von attestierenden Ärzten.

Diese Einschränkung ist bedauerlich und unbefriedigend, sowohl für die aktiven MitarbeiterInnen als auch für die Mitglieder, die sich mehr Unterstützung erwarten. Intern bereitet sich die ÖGHL aber bereits auf eine aktivere Rolle in der Zukunft vor.

Insgesamt war der Zugang zu assistiertem Suizid im vergangenen Jahr durch Unwissenheit, Skepsis und große regionale Unterschiede geprägt. Aus Anfragen an die ÖGHL, aus Medienberichten und persönlichen Gesprächen geht hervor, dass etliche Sterbewillige ihren dringenden Wunsch nach Freitodhilfe trotz intensiver Bemühungen bisher nicht umsetzen konnten.

Einer der Gründe für Unsicherheit und Frustration im Zusammenhang mit dem neuen Gesetz sind die sehr unterschiedlichen regionalen Auslegungen. In einigen Bundesländern gelangt man relativ unkompliziert an die Adressen von attestierenden Ärzten und kooperativen Notaren.

In anderen Landesteilen werden diese Informationen von den Berufsvereinigungen nicht oder nur an den Hausarzt herausgegeben. Ist dieser nicht zu einer entsprechenden Anfrage bereit, so ist für den Patienten die Suche nach Freitodhilfe bereits an diesem Punkt zu Ende.

Unter Medizinern herrscht beim Thema Suizidhilfe vielfach Skepsis und Zurückhaltung. Aus Gewissensgründen können Ärzte (wie auch Apotheker und Juristen) jegliche Beteiligung am assistierten Suizid ablehnen. Die Verunsicherung entspringt jedoch häufig einem Mangel an Informationen.

Aus diesem Grund wurden auf Initiative von ÖGHL-Mitgliedern bereits mehrere anrechenbare Fortbildungsveranstaltungen für Mediziner und Medizinerinnen organisiert, die gut besucht waren. Auch hierbei verhalten sich die Ärztekammern einiger Länder sehr unterstützend, ein größerer Teil jedoch abwartend. Insgesamt kann man feststellen, dass die hilfreichen Initiativen meist von engagierten Einzelpersonen ausgehen und nicht von Institutionen.

Ein weiterer Kritikpunkt an der Art und Weise, wie das Gesetz umgesetzt wird, betrifft die Transparenz der Daten. Anfragen von Organisationen und einzelnen Journalisten nach der Zahl der hinterlegten Sterbeverfügungen und durchgeführten Suizide wurden vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz abschlägig beantwortet.

Die Begründung: es widerspreche dem Gesetz, die Daten für journalistische Zwecke zu verarbeiten. Zu Jahresende 2022 veröffentlichte die Austria Presse Agentur schließlich doch eine knappe Statistik. Danach wurden im abgelaufenen Jahr in Österreich insgesamt 111 Sterbeverfügungen errichtet, neunzigmal wurde das letale Präparat in Apotheken abgegeben. Zum Einsatz kam es etwa zehnmal – hier sind die Angaben ungenau.

Zur Qualitätskontrolle und als Voraussetzung für eine wissenschaftliche Aufarbeitung müssen diese Zahlen in Zukunft nicht nur erhoben, sondern auch zugänglich gemacht werden. Länder wie die Schweiz oder die Niederlande machen vor, wie eine transparente Aufbereitung aussehen kann.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Alois Schöpfs schoepfblog. Wir denken der Autorin dafür.

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1 Antwort

  1. Das Sterbeverfügungsgesetz gilt seit einem Jahr. Auf Nachfrage der APA gab das Sozial- und Gesundheitsministerium die Zahlen für 2022 bekannt.

    Seit 1.1.2022 ist in Österreich das Sterbeverfügungsgesetz in Kraft. Medienberichten zufolge hat das Sozial- und Gesundheitsministerium auf Nachfrage der APA bekanntgegeben, dass mit Stand Dezember 2022 österreichweit 111 Sterbeverfügungen errichtet worden seien. 90 tödliche Präparate seien von Apotheken abgegeben worden. Die Anzahl der zum Einsatz gekommenen Präparate befinde sich aktuell aber „im einstelligen Bereich“, genauso wie die Anzahl der retournierten Präparate.

    Gemäß dem Sterbeverfügungsgesetz ist die Suizidassistenz mittels eines tödlichen Präparates aus der Apotheke nur dann erlaubt, wenn der Betroffene von zwei Ärzten beraten und aufgeklärt wurde, wobei ein Arzt über eine palliativmedizinische Ausbildung verfügen muss. Die Ärzte müssen die Schwere der Erkrankung feststellen, über Alternativen aufklären und den selbstbestimmten und freien Todeswunsch des Betroffenen attestieren. Im Anschluss daran kann vor einem Notar oder einem rechtskundigen Mitarbeiter der Patientenvertretungen eine Sterbeverfügung errichtet werden. Damit kann der Betroffene selbst oder eine von ihm bestimmte Person in einer Apotheke die tödliche Dosis des Präparats ausgehändigt bekommen. Sollte sich der Betroffene das Leben auf anderem Wege nehmen wollen, ist die Suizidassistenz dann nicht strafbar, wenn die entsprechend vorgesehene Aufklärung durch zwei Ärzte stattgefunden hat. Die Errichtung einer Sterbeverfügung ist in diesem Fall nicht notwendig (IEF-Bericht). Sollte der Sterbewillige seinen Todeswunsch aufgeben, muss er das bezogene Präparat gemäß Sterbeverfügungsgesetz bei einer Apotheke zurückgeben, die dieses entsorgt. Sollte ein Präparat in der Verlassenschaft eines Verstorbenen aufgefunden werden, muss dieses an die zuständige Gesundheitsbehörde weitergeleitet werden, die dieses zu vernichten hat.

    Befürworter des assistierten Suizids wie NEOS-Politikerin Fiona Fiedler, der Anwalt Wolfram Proksch oder der Aktivist Eytan Reif kritisierten im vergangenen Jahr immer wieder, dass die „Hürden“ des Sterbeverfügungsgesetzes für Sterbewillige zu hoch seien. Im Gegensatz dazu argumentierten Palliativmediziner, dass die Qualität der Palliativmedizin in Ländern, in denen „Sterbehilfe“ legal sei, abnehme (IEF-Bericht). Zuletzt forderte die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) eine Änderung des Sterbeverfügungsgesetzes. Laut Presseaussendung behindere die Involvierung von Ärzten mit einer palliativmedizinischen Ausbildung diese in ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich Palliative Care zu betreiben (IEF-Bericht).

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