Diskriminierung der Konfessionsfreien im Publikumsrat des ORF | Ein Auskunftsersuchen

Aktuell besteht das window of opportunity, um eine große Ungerechtigkeit, die wir Konfessionsfreie seit Jahrzehnten erdulden müssen, zu beenden. Bekanntlich hat der VfGH vor kurzem “den Auftrag erteilt”, das ORF-G zu reparieren. Der Kläger Burgenland hat sich zwar für uns nicht interessiert, weshalb die Konfessionsfreien im jüngsten VfGH-Erkenntnis keine Rolle spielen, aber jetzt ist die Zeit gekommen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf unser berechtigtes Anliegen hinzuweisen. Ein Weg, den jede Einwohnerin und jeder Einwohner Österreichs beschreiten kann, ist das Erstellen eines Auskunftsersuchens. Nachstehend bringe ich euch mein persönliches Auskunftsersuchen an das Bundeskanzleramt zur Kenntnis. Ihr könnt dieses hier verfolgen bzw. gerne auch kopieren.

“Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit beantrage ich gem §§ 2, 3 AuskunftspflichtG die Erteilung folgender Auskunft:

Der Publikumsrat (PR) soll die Interessen der Hörer und Seher wahren. Seine Funktionsperiode dauert 4 Jahre. Er fasst seine Beschlüsse bei Anwesenheit von der Hälfte der Mitglieder und mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Zu seinen Aufgaben zählt u.a. Empfehlungen im Hinblick auf die Programmgestaltung und die Genehmigung von Beschlüssen d. Stiftungsrates, mit denen die Höhe des Programmentgeltes festgelegt wird. Außerdem bestellt er 6 Mitglieder des Stiftungsrates. Bei dieser Auswahl ist der PR frei, mit einfacher Mehrheit Personen für den Stiftungsrat auszuwählen, die nicht zwingend dem PR angehören müssen.

Der PR setzt sich aus Vertretern wesentlicher gesellschaftlicher Gruppen zusammen. Die WKÖ, die Präsidentenkonferenz der LK, die AK und der ÖGB bestellen je 1 Mitglied. Darüber hinaus bestellen die Kammern der freien Berufe gemeinsam 1 Mitglied, die Rechtsträger der staatsbürgerlicher Bildungsarbeit im Bereich politischer Parteien bestellen je 1 Mitglied, die Akademie der Wissenschaften bestellt 1 Mitglied und die römisch-katholische und die evangelische Kirche bestellen je 1 Mitglied.

Zwischenfazit:

Lediglich zwei Konfessionen sind im PR vertreten. Diese dürfen die Programmgestaltung beeinflussen, über die Höhe des Programmentgelts entscheiden und einen Teil der Mitglieder des Stiftungsrates wählen. Konfessionsfreie dürfen all dies nicht.

Zusammensetzung der Bevölkerung nach Konfessionen und Konfessionsfreie:

Dieses Diagramm stellt die Zusammensetzung der Bevölkerung in Österreich (im Jahr 2023 etwas über 9 Mio.) dar, die von „Atheisten Österreich Wiki“ erstellt wurde:

Katholisch 51,3 %
Evangelisch 2,9 %
Orthodox 4,9 %
muslimisch/alevitisch 8,2 %
andere christliche 1,1 %
andere nicht christliche 1,1 %
Konfessionsfrei 30,5 %

Die Daten präzisieren den Trend, den auch die Statistik Austria ermittelt hat. Die Daten der Statistik Austria beruhen aber auf einer Befragung aus dem Jahr 2021.

Zwischenfazit:

Bei den Weltanschauungen stellen Konfessionsfreie bereits die zweitgrößte Gruppe dar. Danach folgen mit großem Abstand der Islam. Die evangelische Konfession steht hinter den Orthodoxen erst an 4. Stelle.

Kurzüberblick über die Verfassungsbestimmungen:

Art. 14 Abs 2 Satz 1 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger lautet:

„Der Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig;“

Art. 7 Abs 1 Satz 2 B-VG lautet:

„Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen.“

Art. 66 Staatsvertrag von Saint-Germain lautet auszugsweise:

„Alle österreichischen Staatsangehörigen ohne Unterschied der Rasse, der Sprache oder Religion sind vor dem Gesetze gleich und genießen dieselben bürgerlichen und politischen Rechte. Unterschiede in Religion, Glauben oder Bekenntnis sollen keinem österreichischen Staatsangehörigen beim Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte nachteilig sein, wie namentlich bei Zulassung zu öffentlichen Stellungen, Ämtern und Würden oder bei den verschiedenen Berufs- und Erwerbstätigkeiten.“

Zwischenfazit:

Aus der „Religionsverfassung“ Österreichs, insbesondere aus dem Staatsvertrag von Saint-Germain geht hervor, dass Menschen ohne Bekenntnis in ihren politischen Rechten nicht benachteiligt werden dürfen.

Es stellt aber eine krasse Benachteiligung von Konfessionsfreien dar, dass sie nicht zur Wahrnehmung ihrer Interessen im Publikationsrat vertreten sein dürfen. Historische Gründe können die Feststellung der aktuellen Verfassungswidrigkeit einer geltenden Norm nicht verhindern. Die Bestimmungen des ORF-G über die Bestellung der Mitglieder des Publikumsrates sind daher verfassungswidrig.

Erkenntnis des VfGH vom 5. Oktober 2023, G 215/2022-26:

In seinem jüngsten Erkenntnis hat der VfGH erkannt, dass Teile der Bestimmungen des ORF-G als verfassungswidrig anzusehen sind. Dazu zählen jedoch nicht die Regeln über die Bestellung des PR durch nur zwei Religionsgemeinschaften. Der Grund, warum der VfGH darüber nicht entschied, ist der Tatsache geschuldet, dass sich der Kläger Burgenland nicht für die Diskriminierung von Konfessionsfreien, Moslems, Orthodoxe und Menschen sonstiger Bekenntnisse interessierte.

Vertretung der Konfessionsfreien:

Mit dem „Humanistischen Verband Österreich“ oder zukünftig mit dem „Zentralrat der Konfessionsfreien“ stehen Organisationen bereit, die Konfessionsfreie im PR vertreten können.

Es wird daher die Frage gestellt:

Wird das Bundeskanzleramt anlässlich der nach dem VfGH-Erkenntnis notwendig gewordenen Neuausarbeitung der Regeln des ORF-G zum Publikumsrat auch den Konfessionsfreien, die über 30% der Bevölkerung Österreichs und damit nach den Katholiken die zweitgrößte Gruppe ausmachen, die Möglichkeit der Vertretung im Publikumsrat einräumen?

Für den Fall einer vollständigen oder teilweisen Nichterteilung der Auskunft (zB Verweigerung) beantrage ich die Ausstellung eines Bescheides gemäß § 4 AuskunftspflichtG.
Clemens Lintschinger”

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2 Antworts

  1. Emil Hierhold sagt:

    ausgezeichnet – werde mich vollinhaltich anschließen

  2. Dr. Gerhard Engelmayer sagt:

    Ich kann da nur gratulieren, wie professionell dem Problem hier zuleibe gerückt würde.
    Es wäre nur zu überlegen, ob man dem üblichen Gegenargument zuvorkommen sollte, dass die Konfessionsfreien keine eigenen Interessen haben und durch alle anderen teilweise vertreten sind. Dem kann man zuvorkommen, indem man kritisiert, dass religiöse Standpunkte in diesem Gremium unwidersprochen sind und es dadurch zu einer Einseitigkeit kommt, die im täglichen Programm durchaus feststellbar ist.
    Das erste Mal haben wir am Ende der vorletzten Periode des Gremiums eine Eingabe gemacht an die STV. Vorsitzende Dr. Pittermann. Das würde von ihr positiv beantwortet, aber in der auslaufenden Sitzungsperiode nicht mehr behandelt. Ich kann das damalige Schreiben an Interessierte gerne weiterschicken.
    Eine großartige Initiative!
    Gerhard Engelmayer

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