Einhundertundeins Jahre Hans Albert

Heute, am 8. Februar 2022, feiert Hans Albert, der die Philosophie des Kritischen Rationalismus maßgeblich geprägt hat, seinen 101. Geburtstag.

Als Vordenker des Kritischen Rationalismus steht der Philosoph und Soziologe Hans Albert (*1921) für eine wissenschaftliche Denkweise, die sich durch Klarheit, Kritikfähigkeit und Aufgeschlossenheit gegenüber alternativen Denkansätzen auszeichnet. Es ist nicht zuletzt auch Albert zu verdanken, dass die aufklärerische Tradition des kritischen Denkens nach dem zivilisatorischen Einbruch des Nationalsozialismus in Deutschland wieder Fuß fassen konnte. In seinem Standardwerk „Traktat über kritische Vernunft“ präzisierte er nicht nur die wissenschaftliche Logik und Methodik, sondern zeigte auch, dass das Bemühen um kritische Rationalität eine zentrale ethische Verpflichtung ist, der wir uns allesamt stellen sollten. Die Methode der kritischen Prüfung hält Albert nämlich „nicht für ein abstraktes Prinzip ohne existentielle Bedeutung, sondern für eine Lebensweise“.

Wissenschaftlern wird oft nachgesagt, dass sie sich unverständlich und unnötig kompliziert ausdrücken. Von Hans Albert kann man das wahrlich nicht behaupten. Ganz im Gegenteil: Sein Denken zeichnet sich durch außerordentliche Klarheit und Redlichkeit aus. Vor allem „große Worte ohne Substanz“ stachelten seine Lust an der Kritik immer wieder an – so etwa bei einem Symposium anlässlich seines 85. Geburtstags in Heidelberg: Ein hochdekorierter Referent hielt damals einen typischen geisteswissenschaftlichen Vortrag mit allerlei altgriechischen und lateinischen Zitaten, exotischen Fremdwörtern und derart kunstvoll verschachtelten Nebensätzen, dass kaum einer der Zuhörenden den Sinn des Ganzen noch zu erfassen vermochte. Als Hans Albert um ein kurzes Statement gebeten wurde, huschte ein schalkiges Lächeln über sein Gesicht. Er erklärte, dass er bedauerlicherweise nicht alles verstanden habe, doch höchst beeindruckt sei von der enormen Gelehrsamkeit des Kollegen. Nur eines hätte er am Ende doch allzu gerne gewusst: „Welches Problem wollten Sie mit Ihrem Vortrag eigentlich lösen?“

Problemlösung ist die Aufgabe, der Albert sein Leben gewidmet hat. Sein Werk zeugt von Sachverstand, selbstkritischer Reflexion und intellektueller Brillanz, die weit über seine eigenen Fachgrenzen wahrgenommen und geschätzt werden. Selbstdarstellung oder gar Arroganz sind Albert jedoch fremd. Er gilt als ein Freund des understatements, der gerne mal von sich behauptet, einfach nur „ein paar Bücher“ veröffentlicht zu haben. Dabei war er nicht nur einer der maßgeblichen Protagonisten des sogenannten Positivismusstreits, in dem er sich einen Schlagabtausch mit Jürgen Habermas lieferte, sondern zählt auch neben Max Weber und Karl Popper zu den bedeutendsten Wissenschaftstheoretikern im deutschsprachigen Raum.

Die Größe, aus Fehlern zu lernen

Hans Albert gehört zu den Menschen, von denen man mit Recht behaupten kann, dass sie ihre Philosophie nicht nur in der Theorie verteidigten, sondern auch ihr Leben nach ihr ausrichteten. Der von ihm vertretene Kritische Rationalismus misstraut sämtlichen Ideologien und basiert auf der falsifikationistischen Praxis von Problemlösungsversuchen und der Einsicht in Irrtümer. Die Autobiographie von Hans Albert, in der persönliche Erfahrungen mit philosophischen Denkhaltungen verwoben sind, beginnt dazu passend mit dem Eingeständnis eines Fehlers: „Leider muss ich gestehen“, schreibt Albert, „dass Hitlers Buch mich, den damals Zwölfjährigen, zunächst überzeugte.” Albert lässt weder für sich die Ausrede seines jungen Alters gelten noch die Behauptung, „Mein Kampf“ sei in seiner Generation ja kaum gelesen worden.

Als Jugendlicher weicht Alberts anfängliches Interesse für den Nationalsozialismus jedoch bald einer Faszination für die kulturpessimistischen Werke Oswald Spenglers, der die Menschheit als „durch Wissenschaft größenwahnsinnig gewordene Raubaffen“ ansieht. In dem vierzehnjährigen Albert mehren sich dadurch Zweifel an der um sich greifenden Ideologie der Nationalsozialisten. Obwohl er sich an einer Offizierslaufbahn interessiert zeigt, gilt seine Leidenschaft vor allem der militärhistorischen und wissenschaftlichen Lektüre. Er beginnt mit dem Aufbau einer ersten Privatbibliothek, die jedoch durch den Einschlag einer Granate der Zerstörung anheimfällt. Dem jungen Albert wird mangelnder Schwung attestiert und man rät ihm, einen geistigen Berufsweg einzuschlagen. Zu einem Kriegseinsatz Alberts mit Verwundungen, dem Verlust von Freunden und Nahrungsnöten kommt es dennoch. 

Nach Kriegsende hat Albert Schwierigkeiten, beruflich Fuß zu fassen, und schreibt sich im Winter 1946/47 an der Kölner Universität für ein Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ein. Dort widmet er sich „weitgehend unabhängig vom Stoff der Vorlesungen“ einer Art Studium generale, wobei er ein ums andere Mal den Seminarunterricht mit Grundlagenfragen aufmischt. Das zu seiner Zeit vorherrschende Welt- und Menschenbild der Ökonomie missfällt Albert. Eine neue intellektuelle Faszination hat von ihm Besitz ergriffen: Martin Heidegger, dessen Analyse der menschlichen Lebenswelt in Alberts Dissertation den zentralen Baustein seiner Fundamentalkritik der Ökonomie bildet. Ein halbes Jahrhundert später gibt Albert seine ambitionierte Grundlagenpromotion neu heraus, versehen mit einem kritischen Nachwort, in dem er seine Irrtümer von damals offenlegt. Nachdem Albert sich mit den Positionen des Kritischen Rationalismus auseinandergesetzt hat, wendet er sich nämlich zunehmend von der Gedankenwelt Heideggers ab. 

Das Suchen nach Fehlern im eigenen Denken kann seitdem als eines der Hauptmerkmale der Albert’schen Philosophie angesehen werden. Als kritischer Rationalist verweist Albert dabei stets auf die Notwendigkeit, eigene Ansichten möglichst unvoreingenommen zu hinterfragen und an der Realität messen zu lassen. Die Möglichkeit einer Letztbegründung, mit der Überzeugungen und Positionen sicher belegt oder gar bewiesen werden können, schließt er aus. Denn jeder Versuch einer endgültigen Begründung endet entweder in einem logischen Zirkelschluss, in einem unendlichen Regress oder mit dem Abbruch des Verfahrens durch eine dogmatische Setzung. Alle drei Optionen des sogenannten “Münchhausen-Trilemmas” sind laut Albert unbefriedigend. Weil das menschliche Wissen daher grundsätzlich fehlbar ist, muss es im Falle besserer Argumente konsequent revidiert werden.

“Der Mensch ist fehlbar in allen Bereichen”

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