Festakt für Menschenrechte im Parlament: “Große zivilisatorische Errungenschaft”

Broschüre der Grund- und Freiheitsrechte in Österreich

PARLAMENTSKORRESPONDENZ NR. 17 VOM 15.01.2024

Wien (PK) – Am 10. Dezember 2023 jährte sich zum 75. Mal die Unterzeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (AEMR). Das österreichische Parlament hat aus Anlass dieses Jubiläums in den vergangenen Wochen einen besonderen Fokus auf die Menschenrechte gelegt. Heute Abend lud die Parlamentsspitze deshalb zu einer Veranstaltung ins Hohe Haus, um über Meilensteine und Erfolge, aber auch Herausforderungen im Bereich der Menschenrechte zu sprechen.

Am Beginn der Veranstaltung sprach das Nationalratspräsidium über den Stand der Menschenrechte heute. Diskutiert wurden Problemfelder, die weiterhin Aufmerksamkeit erforderten, wie die Möglichkeiten von Menschen mit Behinderung zu gesellschaftlicher Teilhabe oder das Problem des Zugriffs auf persönliche Daten durch digitale Anwendungen.

Die Festrede zur Veranstaltung hielt Elisabeth Hoffberger-Pippan vom Peace Research Institute Frankfurt. Sie erläuterte den Hintergrund der Entstehung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Dabei fragte sie auch, ob angesichts multipler Krisen der 75. Jahrestag der UN-Menschenrechtserklärung überhaupt Anlass zu feiern biete. Globale Entwicklungen brächten neue menschenrechtliche Herausforderungen mit sich, befand Hoffberger-Pippan. Sie plädierte dafür, die vielen kleinen Schritte vieler Menschen zu beachten und zu würdigen, die in Summe viel zur Wahrung der Menschenrechte bewirken könnten.

Nationalratspräsidium: Menschenrechte müssen weiterentwickelt werden

In einem von der Journalistin Corinna Milborn moderierten Gespräch betonten die Mitglieder des Präsidiums des Nationalrats, dass es bei allen Fortschritten auch in Österreich immer noch menschenrechtliche Bereiche gebe, denen man Augenmerk schenken müsse.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka unterstrich die Rolle des Parlaments als Botschafter der Menschenrechte. Bereits seit einigen Wochen sei das Hohe Haus bemüht, mit verschiedenen Aktionen die Öffentlichkeit auf ihre Bedeutung hinzuweisen, etwa im Bereich der Frauenrechte oder der Situation von Menschen mit Behinderungen oder mit der Thematisierung von Minderheitenrechten. Das Parlament sei bei der Renovierung seines historischen Gebäudes bei der Barrierefreiheit mit gutem Beispiel vorangegangen. Der Einsatz für Demokratie und Menschenrechte erfordere auch den Kampf gegen den Antisemitismus. Hier gelte es etwa, digitale Medien zu regulieren. Wichtig sei es, sicherzustellen, dass Menschen nicht hilflos algorithmengesteuerten Plattformen ausgeliefert seien, die Falschinformationen und Propaganda verbreiteten.

Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures sagte, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte betreffe nur auf den ersten Blick abstrakte Themen. Tatsächlich sei sie die Grundlage wichtiger politischer Entscheidungen und ein Wertekompass. Die darin formulierten Rechte seien uns heute oft so selbstverständlich geworden, dass ihre Bedeutung uns erst beim Versuch der Einschränkung bewusst werde. Bures erinnerte darin, dass in Österreich die Gleichberechtigung der Frau noch für die Generation ihrer Mutter keineswegs eine Selbstverständlichkeit gewesen sei und dass Frauenrechte auch heute in vielen Staaten nicht verwirklicht seien. Eleanor Roosevelt, die wesentlich an der Erarbeitung der AEMR mitgewirkt habe, habe sinngemäß gesagt, die Menschenrechte seien ein Ort, der auf keiner Landkarte gefunden werden könne, der aber für jeden und jede Einzelne die Welt bedeute.

Dritter Nationalratspräsident Norbert Hofer wies darauf hin, dass bei den Rechten von Menschen mit Behinderungen noch ein weiter Weg zurückzulegen sei. Noch immer seien etwa Rollstuhlfahrer:innen oder Menschen mit Sehbehinderungen im Alltag mit ganz konkreten Hürden konfrontiert. Neue Herausforderungen würden sich auch durch digitale Anwendungen ergeben, die in einem nie gekannten Ausmaß Daten sammelten und daraus detaillierte Persönlichkeitsprofile erstellen könnten. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz werfe viele Fragen auf, für die erst Antworten gefunden werden müssten. Wissenschaft wie Politik hätten die Pflicht, sich mit diesen Problemen umfassend auseinanderzusetzen.

Das Gespräch des Nationalratspräsidiums wurde durch eine Protestaktion von propalästinensischen Demonstrant:innen unterbrochen. Nachdem die Personen aus dem Sitzungssaal des Nationalrats geführt worden waren, betonte Nationalratspräsident Sobotka, dass Österreich unverbrüchlich zum Selbstverteidigungsrecht Israels stehe. Die Verbreitung von Parolen, die dem Staat Israel das Existenzrecht absprächen, habe nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, sondern sei antisemitische Propaganda, der man konsequent entgegentreten müsse.

Hoffberger-Pippan: Der 10. Dezember – (k)ein Tag zum Feiern?

Angesicht der Weltlage scheine es, dass der 10. Dezember in erster Linie ein Tag des Nachdenkens sei, befand Hoffberger-Pippan zu Beginn ihrer Rede. So galten im Jahr 2022 735 Millionen Menschen weltweit als unterernährt. 125 Millionen Frauen und Mädchen waren von Genitalverstümmelung betroffen. Weltweit hatten rund zwei Milliarden Menschen keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Demokratie und Rechtstaatlichkeit zeigten sich auf dem Rückzug. 2021 lebten nur mehr 46 Prozent der Weltbevölkerung in Demokratien, während es 2020 noch 50 Prozent waren.

Pippan erinnerte im Detail an die massiven Menschenrechtsverletzungen durch die Masseninternierung der Uiguren und anderer muslimischer Bevölkerungsgruppen in China, wo sich über eine Million Männer und Frauen seit 2017 in Umerziehungslagern befänden und Zwangsarbeit, Erniedrigung, Folter und andere Formen physischer wie psychischer Gewalt einschließlich Zwangssterilisation ausgesetzt seien.

Sie erinnerte auch an die zehntausende Zivilisten, die seit dem 24. Februar 2022 aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ums Leben gekommen seien und das furchtbare Schicksal vieler Kriegsgefangener. Am 7. Oktober 2023 sei es mit dem Angriff der Terrormiliz Hamas mit über 1.139 Ermordeten zum größten Massenmord an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust gekommen. Im Gaza-Streifen wiederum hätten Tausende Zivilist:innen ihr Leben verloren.

Menschenrechtserklärung unter besonderen Zeitumständen

Angesichts der Schreckensmeldungen über weltweite Menschenrechtsverstöße stelle sich die Frage: “Warum also feiern wir die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte überhaupt? Warum schämen wir uns nicht für das, was auf dieser Welt geschieht und was wir alle ein Stück weit zulassen?” fragte Hoffberger-Pippan. Sie versuchte mit einem Blick in die Vergangenheit, einen differenzierter Ansatz zur Beantwortung dieser Fragen zu liefern.

1946, nur ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde die UN-Menschenrechtskommission gegründet, um die AEMR auszuarbeiten. Zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung am 10. Dezember 1948 sei die Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse, Gräueltaten und Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs in den Menschen noch sehr präsent gewesen. Gleichzeitig habe sich das geopolitische Umfeld, in dem zahlreiche Staaten noch unter Kolonialherrschaft standen, sehr von heute unterschieden.

Die Entwicklung der Menschenrechte sei seitdem zwar keineswegs linear verlaufen, zeige aber viele positive Aspekte, meinte die Rednerin. Vieles habe sich in den letzten Jahrzehnten verbessert, etwa die Rate der Kindersterblichkeit, die Alphabetisierungsrate und die medizinische Versorgung. Die AEMR stelle “die verbriefte Initialzündung für ein stärkeres menschenrechtliches Bewusstsein” dar und reflektiere eine bislang nie dagewesene Bereitschaft der internationalen Staatengemeinschaft, sich auf einen Kanon der Menschenrechte zu einigen.

Nicht alle der damals 58 UN-Mitgliedstaaten votierten für die Erklärung. Acht Staaten, darunter etwa die damalige Südafrikanische Union, die Sowjetunion und Jugoslawien, enthielten sich der Stimme, zwei UN-Mitglieder, Honduras und Jemen, nahmen an der Abstimmung nicht teil. Für Hoffberger-Pippan wirft nicht nur das Abstimmungsverhalten der stimmberechtigten Staaten, sondern auch die regionale Repräsentativität des UN-Ausschusses Fragen auf. Auch sei nur eine Frau, Eleanor Roosevelt, darin vertreten gewesen.

Bei den in den insgesamt 30 Artikeln der AEMR verbrieften Rechte handle es sich zu etwa zwei Dritteln um Menschenrechte der Ersten Generation, also liberale Abwehrrechte gegen den Staat. Neben dem Recht auf Leben umfassen sie auch das Folterverbot sowie das Recht auf Eigentum. Weitere Rechte seien Menschenrechte der Zweiten Generation, in erster Linie soziale Rechte, wie das Recht auf Arbeit oder das Recht auf Gesundheit oder Bildung. Während man keinesfalls die Bedeutung der Menschenrechte der Ersten Generation unterminieren solle, stelle sich dennoch die Frage, ob der Text im Falle einer anderen, breiter gefächerten Besetzung des Vorbereitungsausschusses anders ausgesehen und mehr Bestimmungen zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten enthalten hätte. Gar nicht enthalten in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte seien Rechte der Dritten Generation, die nur im Kollektiv ausgeübt werden könnten, wie das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Auch Minderheitenrechte seien in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nicht erwähnt, so Hoffberger-Pippan.

Der Anspruch der AEMR, universell zu sein, werfe die Frage nach einem allgemeingültigen Verständnis von Menschenrechten auf. Die AEMR selbst gehe auf vulnerable Menschengruppen recht unterschiedlich ein. Asylwerber:innen seien durch die AEMR geschützt, während auffälliger Weise Schutzbestimmungen für Menschen mit Behinderung fehlten, was nicht zuletzt aufgrund des abscheulichen Umgangs des NS-Regimes mit Behinderten in der “Aktion T4” verwundere. Kinder seien durch die AEMR zumindest partiell geschützt worden, Frauen bzw. Mütter hätten jedoch nur wenig besonderen Schutz erhalten. Hoffberger-Pippan erinnerte an dieser Stelle an das tragische Schicksal hunderter Frauen, die für den Verstoß gegen die so genannten “guten Sitten” Gewalt oder gar den Tod erlitten, wie die 16-jährige Armita Geravand, die Ende vergangen Jahres im Iran nach einer Konfrontation mit der Sittenpolizei starb.

Alles in allem sei die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte jedoch unzweifelhaft eine große zivilisatorische und menschenrechtliche Errungenschaft, befand Hoffberger-Pippan. Obwohl selbst rechtlich nicht verbindlich, reflektiere sie in weiten Teilen Völkergewohnheitsrecht. Nach ihr und durch sie seien zahlreiche andere menschenrechtliche Verträge entstanden, wie der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.

Entgrenzung bringt neue Herausforderungen für Wahrung der Menschenrechte

Um die AEMR zu verstehen, lohne sich auch ein Blick auf gesamtgesellschaftliche Umwälzungen der vergangenen Jahre, die Hoffberger-Pippan unter den Begriff der “Entgrenzung” stellte. Dazu zählt sie die immer größere Rolle international agierender, transnationaler Unternehmen etwa bei Aufrechterhaltung oder Gewährleistung von Arbeitsrechtsstandards. Unsere Gesellschaft sei zudem einem starken Wandel im Hinblick auf Digitalisierung unterworfen. Der Einsatz von KI, etwa für militärische Zwecke werfe die Frage auf, ob man in einer Welt leben möchte, in der Maschinen über Leben und Tod entschieden. Ein weiteres Beispiel zunehmender Entgrenzung biete der Klimawandel.

Die Frage, ob man trotz aktueller Geschehnisse stolz auf die AEMR sein und sie feiern dürfe, bejahte Hoffberger-Pippan. Die AEMR sei “definitiv eine zivilisatorische Errungenschaft”. Zudem sei zweifelhaft, ob ein ähnlich umfassendes Dokument unter heutigen Umständen überhaupt noch verabschiedet werden könnte. Angesichts der Probleme und Herausforderungen, der Zunahme von gesellschaftlicher Polarisierung und politischem Populismus sei es umso wichtiger, die Menschenrechte zu schützen.

Hoffberger-Pippan legte ein Plädoyer ab für die “vielen kleinen Schritte, die in ihrer Summe Großes bewirken können”. Diese setzten etwa Menschen, die im Gesundheitsweisen, in Bildungseinrichtungen, in Gewaltschutzzentren und anderen sozialen Einrichtungen tätig seien. In einer konfrontativeren Welt sei der vermeintlich kleine Beitrag jedes Einzelnen für den Schutz und die Wahrung der Menschenrechte wichtig. “Toleranz für andere Ansichten, für andere Lebensweisen und Auffassungen sind in einer demokratischen Gesellschaft unerlässlich, wenn man es mit den Menschenrechten, und vor allem der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, ernst meint”, schloss die Rednerin.

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