Gleichbehandlungskommission |
Land NÖ diskriminiert Beschäftigte wegen Religion

In einem jüngst erstellten Gutachten erkannte die niederösterreichische Gleichbehandlungskommission in der Dienstbefreiung für evangelische Bedienstete am Tag des Reformationsfestes und der dadurch resultierenden Differenz der zu leistenden Arbeitsstunden bei gleichen Bezügen eine Diskriminierung wegen Religion.

Überblick über die unzweifelhafte Rechtsprechung des EuGH

Österreichische Arbeitgeber*innen (AG) sind unbelehrbar, so scheint es manchmal. Denn das berühmte „Karfreitags-Urteil“ des EuGH aus dem Jahr 2019 (Rechtssache C-193/17) resultiert ebenfalls aus einem österreichischen Sachverhalt. Die richtungsweisende Entscheidung des EuGH beinhaltet zwei einfache, aber wesentliche Urteilssprüche:

  1. Eine nationale Regelung, die den Karfreitag als Feiertag nur für Arbeitnehmer*innen (AN) bestimmter christlicher Kirchen festlegt und nur diesen AN Anspruch auf Feiertagsentgelt gewährt, stellt eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion dar.
  2. Ein privater AG ist verpflichtet, auch anderen AN das Recht auf einen Feiertag am Karfreitag zu gewähren, sofern diese zuvor mit diesem Anliegen an ihn herangetreten sind. Falls ein Arbeitgeber dies ablehnt, muss den AN das Recht auf Feiertagsentgelt zugesprochen werden.

Mit anderen Worten: Die österreichische Karfreitagsregelung hat die negative Religionsfreiheit verletzt. Darunter versteht man die Freiheit, nicht Anhänger einer Religionsgemeinschaft sein zu müssen bzw. nicht diskriminiert zu werden, weil man kein Mitglied einer bestimmten Religion ist. Nochmals anders gewendet: Aufgrund der negativen Religionsfreiheit muss kein Mensch erst Angehöriger einer Religion werden, um Arbeitnehmer*innenrechte ausüben zu dürfen.

Man sollte meinen, der EuGH hat in den Urteilssprüchen seinen Standpunkt für Gesetzgeber, Kollektivvertragspartner, private und öffentliche AG hinreichend klar formuliert. Ein Irrtum, wie gegenständlicher Fall zeigt.

Zum gutachtensrelevanten Sachverhalt

Peter (Name geändert) ist nö Landesbediensteter und kein Angehöriger des evangelischen Glaubens. Laut seinem (in diesem Punkt unbestrittenen) Antragsvorbringen ist bei seinem AG für das Jahr 2024 der 31.10. als Reformationsfest für Angehörige des evangelischen Glaubens als dienstfreier Tag angeführt. Schon im Jahr 2023 war der 31.10. für diese Personengruppe dienstfrei und im Oktober 2023 betrug bei diesem AG für Angehörige des evangelischen Glaubens die Solldienstzeit lediglich 176 Stunden, während für alle anderen Bediensteten eine Solldienstzeit von 184 Stunden vorgesehen war. Die Monatsbezüge sind bei den Angehörigen aller Glaubensrichtungen hingegen gleichbleibend, unabhängig von den vorgesehenen Solldienstzeiten. In seinem Antrag an die nö Gleichbehandlungskommission verwies Peter daher auf das Karfreitags-Urteil des EuGH und brachte vor, aufgrund der höheren Solldienstzeit bei gleichen Bezügen als Nicht-Protestant diskriminiert zu werden.

Zum skurrilen Gegenvorbringen

Das Gegenvorbringen des Antragsgegners ist derart „speziell“, dass ich das Gutachten wörtlich zitieren möchte:

… und führte im Wesentlichen aus, dass aufgrund der geltenden gesetzlichen Regelungen feststehe, dass der Tag des Reformationsfestes kein Feiertag sei, sondern die betroffenen Bediensteten lediglich vom Dienst zu befreien seien.

Echt jetzt, das macht es besser? Der Bedienstete muss das Reformationsfest gar nicht „feiern“, er darf die Dienstfreiheit jedenfalls genießen. Und weil der 31.10 im Gesetz nicht expressis verbis als Feiertag angeführt wird, sollen die übrigen Beschäftigten nach Ansicht des AG keine im Sinne des Karfreitags-Urteils erforderliche Vergütung erhalten. Bereits diese Argumentation mutet unerträglich sophistisch an. Aber der Antragsgegner überrascht mit einer zweiten, noch sonderbareren Argumentationsschiene:

Zudem sei im Urteil des EuGH von privaten Arbeitgebern die Rede, nicht vom öffentlichen Dienst.

Ist ein solches originelles Vorbringen noch unfreiwillig lustig oder bereits als boshaft anzusehen? Der Antragsgegner meint offenbar, dass Artikel 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), auf die sich der EuGH im zweiten Urteilsspruch seines Karfreitags-Urteils ausdrücklich stützt, nur für private AG gelte, aber nicht für den öffentlichen Dienst. Ob dem Antragsgegner klar ist, dass er damit die Büchse der Pandora öffnet? Als ein an Art. 21 GRC nicht gebundener Dienstherr dürfte der Staat Menschen wegen ihrer Religion oder Weltanschauung (und folglich auch wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung) diskriminieren.

Zum Gutachten der nö Gleichbehandlungskommission

Nach Ansicht der Kommission liegt eine mittelbare Diskriminierung immer dann vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften wegen eines Diskriminierungsgrundes in besonderer Weise benachteiligen können und es für diese Benachteiligung an einer sachlichen, angemessen und erforderlichen Begründung mangelt. Die Regelung des NÖ Landesbediensteten-Gesetzes, wonach Bedienstete evangelischer Bekenntnisse am Tage des Reformationsfestes vom Dienst zu befreien sind, ist in diesem Sinne mittelbar diskriminierend. Dementsprechend „erkennt die NÖ Gleichbehandlungskommission eine Diskriminierung aufgrund der Religion der antragstellenden Person in der Reduktion der Solldienstzeiten für Angehörige des evangelischen Glaubens bei gleichbleibenden Bezügen“.

Der AG habe die Wahl: Entweder er sorgt für die gleiche Solldienstzeit für Bedienstete aller Glaubensrichtungen am 31.10., um die mittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion abzustellen oder er nützt die Möglichkeit den Reformationstag, angelehnt an den Karfreitag und den Allerseelentag, als Normaltag festzulegen und eine Dienstleistung von 4 Stunden für alle Bediensteten — unabhängig von der Glaubensrichtung — zu verfügen.

Kommentar

Das Gutachten der nö Gleichbehandlungskommission offenbart die klare Diskriminierung des Antragstellers aufgrund seiner Weltanschauung. Die Reduktion der Solldienstzeit für evangelische Bedienstete bei gleichbleibenden Bezügen ist ein Verstoß gegen das Karfreitags-Urteil des EuGH, und für Kenner dieses Urteils keine Überraschung. Jedoch werfen sich weitere Fragen auf:

1. Ignoranz des Landesgesetzgebers:

  • Warum ignoriert der niederösterreichische Landesgesetzgeber den klaren Tenor des EuGH-Urteils?
  • Soll durch die Verwendung von Begriffsspielereien die Diskriminierung in religiösen Angelegenheiten vorsätzlich vertuscht werden?

2. Rolle der Interessenvertretungen:

  • Wo ist der Aufschrei der Betriebsräte?
  • Warum schweigt die mit Zwangsgebühren finanzierte Arbeiterkammer zum NÖ Landesbediensteten-Gesetz?
  • Befindet sich die Gewerkschaft im Dornröschenschlaf?

Peter, der zu den Einzelkämpfern und zu den Renegaten der in Weltanschauungsangelegenheiten paralysierten AN-Interessensvertretern zählt, verdient unsere höchste Anerkennung. Mit seinem Antrag hat er die bedenkliche Praxis in Niederösterreich aufgedeckt und er bekämpft sie mutig. Sein Fall sollte auch anderen Dienstherren in ganz Österreich aufrütteln und zum Umdenken motivieren. Niemals darf die Weltanschauung zu Privilegien oder Diskriminierungen in der Arbeitswelt führen. Diese zwingende Auslegung eines zentralen Menschenrechts werden auch die Amtskirchen, Klöster und Ordensgemeinschaften als bedeutende Arbeitgeber in unserem Land noch erlernen müssen.

Disclaimer:

Mir standen das Gutachten der Gleichbehandlungskommission vom 27. März 2024, nicht aber der sonstige Schriftverkehr zur Verfügung. Gutachten von Gleichbehandlungskommissionen sind für die Arbeits- und Sozialgerichte nicht rechtsverbindlich.

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