Humanisten gegen Überwachung

Papagei mit antikem Telefon
KI-generiertes Bild, generiert mit Adobe Firefly Beta

Grundrechte wie das Brief- und Fernmeldegeheimnis sind wichtige Grundlagen unserer Freiheit in einem demokratischen Staat. Das gilt auch dann, wenn die populistische Variante so oder so ähnlich lautet: “Ich will frei kommunizieren können, aber Menschen, denen ich zukünftige Verbrechen zutraue (AusländerInnen, AnhängerInnen anderer Religionen, jene mit anderen politischen Ansichten) sollen von der Polizei abgehört werden dürfen.”

Vor kurzem nahm die Polizei in Wien drei junge Islamisten fest, wegen ihrer angeblichen Planung eines Anschlags auf die Love Parade. Dies geschah mit klassischer Polizeiarbeit, Aufmerksamkeit für Details, HinweisgeberInnen in der Szene und so weiter. Was an den Vorwürfen dran ist, werden wir erfahren, wenn — falls — es zu einer Anklageerhebung und zu einem Prozess kommt. 

Im Zuge der Bekanntgabe der Verhaftung erhob der zuständige Polizist die Forderung, die Behörden mit neuen Möglichkeiten zur Überwachung von Verdächtigen (Personen, die die Polizei als verdächtig einstuft) auszustatten, um zukünftige Terroranschläge zu verhindern.

Es sollen also folgende zwei Aussagen in einen logischen Zusammenhang gebracht werden:

1. Die Polizei hat mit ihren bestehenden Mitteln einen Terroranschlag verhindert.

2. Die Polizei braucht neue Mittel, um zukünftige Terroranschläge zu verhindern.

Wer darin einen Widerspruch und nicht einen kausalen Zusammenhang sieht, hat ein gesundes Verständnis für Logik und ist wohl nicht für die polizeiliche Pressearbeit geeignet.

Bundestrojaner

Die geforderte Maßnahme wäre konkret die Einführung eines “Bundestrojaners”, einer Software, die auf den von den verdächtigten Personen verwendeten Endgeräten (PC, Handy, Tablet, Smartwatch, …) eingebracht wird und die Kommunikation ausleitet.

Historisch waren Ausnahmen vom Fernmeldegeheimnis auch damit rechtfertigbar, dass man gezielt und an zentraler Stelle (in der Telefon-Vermittlung) die Gespräche ausleiten und abhören konnte. Dank Edward Snowden wissen wir seit zehn Jahren, dass diese Möglichkeit massiv missbraucht wurde. Spioniert wurde ohne Anlassfall oder konkreten Verdacht, ohne richterliche Zustimmung, und nicht nur für die Vermeidung von Straftaten, sondern etwa auch für Wirtschaftsspionage.

Seither hat sich die Kommunikationsinfrastruktur stark gewandelt. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Kommunikationsinhalten wie in Whatsapp und Signal ist die Norm geworden. Das bedeutet: Solange die NutzerInnen die Kontrolle über ihre Endgeräte haben, ist das Kommunikationsgeheimnis mit starken mathematischen (kryptographischen) Methoden geschützt, deren Entschlüsselung auch für staatliche Geheimdienste nur schwer oder nicht machbar ist. Die Inhalte sind außerhalb der Endgeräte nicht zugänglich — und genau diese rücken damit in den Fokus der Überwachungsfantasien.

In Deutschland läuft die Diskussion seit etwa zwanzig Jahren, damals unter der Bezeichnung “Online-Durchsuchung”. Das war eine Zeit, in der dafür völlig ungeeignete, nicht regelmäßig aktualisierte, ohne Sicherheitsbewusstsein entwickelte Windows-Versionen auf PCs mit Internet-Verbindung die zu überwachenden Kommunikationsmittel waren. (Die “bösen” haben ja schon E-Mail verwendet, die “guten” PolitikerInnen mit den Überwachungswünschen nur Fax wie im vorigen Jahrhundert.)

Geräte unter Kontrolle

Heute nutzen wir aber ganz andere Geräte zur Kommunikation. Die dominanten Handy-Betriebssysteme Android und iOS arbeiten mit der Trennung einzelner Applikationen, klaren Rechte-Einschränkungen und verschlüsseln den Speicher des Geräts. (Das in Österreich berüchtigte Thomas-Schmid-Handy konnte ja auch nicht geknackt werden, die Informationen stammen aus einer vergessenen unverschlüsselten Sicherung auf einer externen Festplatte.) Mit dem leicht einsehbaren Schweizer Käse des Durchschnitts-PCs vor zwanzig Jahren haben sie nichts zu tun. Das Problem ist also das Einbringen des “Bundestrojaners” am sicheren Endgerät. Hier springen spezialisierte, eher dubiose Unternehmen ein, die Behörden in Demokratien und Diktaturen und allen anderen, die genug für ihre Dienste zahlen, eben diese Möglichkeit versprechen und die Überwachungssoftware gleich mit dazu verkaufen. 

Entdeckte und offen bekanntgemachte Sicherheitslücken werden heutzutage schnell geschlossen. Ohne diese Lücken wird aber das Geschäftsmodell der genannten Firmen wertlos. Sie — und damit die Behörden, die ihre Dienste nutzen wollen — sind also daran interessiert, solche Lücken am Schwarzmarkt zu kaufen und geheimzuhalten. Dass andere Kriminelle von den Lücken wissen und sie ausnutzen, ist für sie ein notwendiges Übel. Wir alle, als Gesellschaft, als Einzelpersonen und als Organisationen sind die Geschädigten. Unsere Systeme bleiben länger als notwendig unsicher, wir sind nicht nur den Staatskriminellen mit ihren verfassungswidrigen Überwachungswünschen ausgeliefert, sondern auch gewöhnlichen Kriminellen mit ihrem Interesse an unseren Bankdaten, privaten Daten, Fotos und anderen Informationen, die wir zu Recht unter unserer Kontrolle haben und behalten wollen.

Wer kann sich diesem Problem mit technischen Mitteln am besten, wenn auch nicht vollständig entziehen? Einerseits natürlich die Menschen mit den besten technischen Kenntnissen, andererseits aber auch Gruppen, die wissen, dass sie potenzielle Ziele der Überwachung und deswegen bereit sind, spezielle Software, exotische Endgeräte und andere Maßnahmen zu setzen, um mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen die auf den Massenmarkt gerichtete Überwachungsinfrastruktur immun zu sein. Ein Großteil der ahnungslosen Bevölkerung wiederum ist schutzlos ausgeliefert. Das ist genau anders herum als wir es eigentlich haben wollen.

Humanistisch betrachtet

Als HumanistInnen sind wir natürlich dafür, dass religiöser Extremismus eingedämmt und sanktioniert wird. Doch das sind nicht die einzigen Gesichtspunkte. Wir treten auch für Menschenwürde und Grundrechte ein. Das Kommunikationsgeheimnis ist ein wichtiges Grundrecht sowohl für die Menschenwürde als auch für den Schutz anderer Grundrechte. Die sicheren Kommunikationsmittel, die wir in unseren Demokratien als selbstverständlich erachten, schützen auch die Kommunikation unserer MitstreiterInnen in Theokratien und Diktaturen. Wenn wir sie aktiv schwächen, gefährden wir damit das Leben dieser AktivistInnen und vieler anderen.

Nicht nur als HumanistInnen, sondern als StaatsbürgerInnen und Menschen müssen wir also gegen diesen Unsinn protestieren und aufstehen. Die neuen Überwachungsvorschläge sind wie gezeigt a.) nicht schlüssig argumentiert, b.) nicht wirksam und c.) aktiv schädlich für die Gesellschaft. Drei gute Gründe, dagegen zu sein, wenn die Verfassungsfeinde im Staatsapparat (mehrfach höchstgerichtlich erkannt) immer und immer wieder die gleichen illegalen Maßnahmen wollen.

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