Moralischer Relativismus

Sam Harris
Von Autor/-in unbekannt - http://www.fritankesmedja.se/sam_harris_bara_vetenskap, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1719519

Moralischer Relativismus: immer ein Partyknaller. Verdienen alle kulturellen Praktiken gleichen Respekt? Oder ist die Annahme gerechtfertigt, dass einige Kulturkreise menschliches Wohlergehen weniger erfolgreich maximieren als andere? Lassen sich dazu eindeutige Aussagen treffen? Kann die Wissenschaft Daten liefern und informierte Schlüsse ziehen – oder müssen wir als Humanisten klein beigeben, wenn im Nahen Osten und in Teilen Afrikas rituell die Genitalien kleiner Mädchen verstümmelt werden? Oder wenn, wie aktuell in den Nachrichten zu lesen, die Taliban den Afghaninnen nun den Zugang zur Hochschulbildung verwehren?

Auftritt Sam Harris. Seit Jahren verficht der amerikanische Ethiker und Neurowissenschaftler die Ansicht, dass „die rücksichtslose Frauenfeindlichkeit und religiöse Verblendung der Taliban dem menschlichen Wohlergehen zuwiderläuft“. Nach solchen Aussagen umarmte ihn im schwarzweißen Amerika zunächst das rechte Lager, wo die Evangelikalen jedem zujubeln, der Konkurrenz-Religionen verteufelt. Wer Harris’ Schriften gelesen und ihm zugehört hat, weiß jedoch: Der Mann steht Mitte Links; er glaubt weder an den Christengott noch an exotischere Pantheons, sondern an Vernunft und Wissenschaft. Seine Hoffnung zielt ab auf die – wiewohl schwache – Chance des Zusammenlebens aller Völker in Wohlstand und Frieden.

Vor Jahren, auf einem Ethik-Kongress, hielt Sam Harris einen seiner antireligiösen Vorträge, gefolgt von einem öffentlichen Wortwechsel mit einer US-Regierungsberaterin, die „auf den ersten Blick kompetent“ schien, um den wissenschaftlichen Zugang zu moralischen Fragen zu diskutieren. Etwa kritisierte die namenlose Dame zielsicher die grausame Behandlung von potenziell schuldlosen moslemischen Männern in US-Folterkammern. „Fein kalibriert“ war laut Harris das ethische Gespür seiner Herausforderin. Doch, so bedauert er, sobald Religion ins Spiel kam, stieß es abrupt auf Grenzen.

Der legendäre Abtausch soll etwa so verlaufen sein:

Sie: Wie kommen Sie darauf, dass die Wissenschaft jemals sagen darf, dass es falsch ist, Frauen zum Tragen der Burka zu zwingen?“

Harris: “Weil ich meine, dass Recht und Unrecht eine Frage der Steigerung oder Verringerung des Wohlbefindens sind. Für mich ist offensichtlich, dass es keine gute Strategie zur Glücks-Maximierung ist, die Hälfte der Bevölkerung zu zwingen, in Stoffsäcken zu leben – und sie zu verprügeln oder zu töten, wenn sie sich weigern.”

Sie: „Aber das ist doch bloß Ihre Meinung.“

Harris: „Okay, vereinfachen wir die Frage. Angenommen, wir finden eine Kultur, die jedem dritten Kind nach der Geburt rituell die Augen aussticht. Würden Sie zustimmen, dass diese Praxis das menschliche Wohlergehen sinnlos vereitelt?“

Sie: Es würde davon abhängen, warum sie das tun.“

Harris: „Nehmen wir an, sie täten es ihres religiösen Glaubens zuliebe. In ihrer heiligen Schrift gebietet ihr Gott: Jeder Dritte muss in Finsternis wandeln.“

Sie: „Dann dürfte man niemals urteilen, dass diese Menschen falsch handeln.“

Sam Harris‘ Augenbrauen, wie er sinngemäß sagt, kehrten erst nach geraumer Zeit zurück vom Haaransatz. Seine hochdekorierte Kontrahentin, deren akademische Medaillen eine Seite füllen und die der Bush-Regierung zur Seite stand, sagte klar: Menschenrechte seien zu respektieren, außer die regionale Religion annulliert sie. In diesem Fall müsse man die regionalen Gepflogenheiten respektieren. Siebenjährigen für immer die Lust vergällen, sie ein Leben lang in Kartoffelsäcke stecken und sie systematisch von Bildung fernhalten – alles fair game, wenn die lokal amtierende Gottheit dergleichen fordert.

Harris dagegen buckelt nicht vor religiösen Dogmen, betont aber auch, dass nicht nur ein „alleinseligmachender“ Weg zu florierenden Gesellschaften führe. In seinem Buch „The Moral Landscape“ malt er die menschliche Natur als hügeliges Terrain: Die verschiedenen Gipfel repräsentieren allgemeines Wohlergehen, in den Tälern lauern die Beschneidungsklingen, die Höllendrohung, der binäre Geschlechterwahn, die Sklavenmentalität der Gotteshörigen. Mehr als eine Hügelkuppe sieht Harris als erstrebenswert, man müsse eben abwägen, ob dort alle glücklich leben dürfen oder nur ein paar wenige Schweinepriester.

Für uns Humanisten in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist diese Debatte heikel und angstumflort. Das Bullshit-Barometer zuckt zwar heftig, wenn das Christentum am Pranger steht, aber wie gut kennen wir den Koran? Ich nicht so wirklich. Die Schnüffelprobe verheißt nichts Gutes. Möchten Allah-Jünger*innen mich überzeugen von ihrer Weltsicht und mich alten Atheisten konvertieren? Meine Adresse in Wien findet man mühelos im Internet. Serviere gern Tee und Kekse.

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18 Antworts

  1. @ ROLAND GUGGANIG

    “Menschenrechte seien zu respektieren, außer die regionale Religion annulliert sie. In diesem Fall müsse man die regionalen Gepflogenheiten respektieren.”

    “… alles fair game, wenn die lokal amtierende Gottheit dergleichen fordert.”

    Wer hat eigentlich gefordert, dass der Sozialstaat durch “Tafeln” zu ersetzen ist? Dass das Menschenrecht auf (Über-) “Leben” durch private Initiative gewährt wird?

    War das “die Religion”, oder “das Geld”? Oder ist “Geld” vielleicht unsere alles dominierende Religion?

    “Tafeln”, aktuell: https://www.tagesschau.de/inland/mehr-menschen-nutzen-tafeln-101.html

    • Niemand, außer der Wähler:innenwille, hat gefordert

      • dass der Sozialstaat durch Tafeln zu ersetzen sei
      • dass das Menschenrecht auf Leben und Überleben durch private Initiative gewährt wird

      Diese privaten Initiativen retten allein in Deutschland jedes Jahr 265.000 Tonnen genießbare Lebensmittel vor dem Müll und verteilen sie an ihre 2 Millionen Kundinnen und Kunden. Damit leisten sie praktische, schnelle Hilfe und entlasten die Menschen finanziell. Was im übrigen auch eine humanistische Aufgabe ist, wenn der Sozialstaat versagt, wenn der eigene Lebensplan Schwierigkeiten bereitet hat, wenn man, ob verschuldet oder unverschuldet, in Not geraten ist. Das Lindern von Not muss dann, exakt in diesem Moment geschehen. Und danach kann man darüber diskutieren, wie man die soziale Not in Zukunft lindern will.

      Ich bitte Dich, hier niemandem etwas zu unterstellen.

      • @ Dr. Andreas Gradert

        wenn ich es richtig verstehe, dann schreiben Sie, dass der “Wähler:innenwille” gefordert habe, den Sozialstaat zu ersetzen, durch Tafeln und private Initiative.

        Für mich hat DAS den Charaktere einer “Unterstellung”: ich habe sicher nicht die Abschaffung des Sozialstaates gewählt. Und viele andere würden sich auch gegen diese Unterstellung wehren.

        Dass soziale Not überhaupt erst entsteht, ist ein Versagen des (Sozial-) Staates, der bürgerlichen Gesellschaft. Um daran etwas zu ändern, muss man die Gesellschaft ändern. Nichts anderes.

        Ich habe keinerlei Verständnis für rechtes, libertäres Gedankengut, das den Staat ersetzen will. Wenn man das dann auch noch als “humanistisch” ausgibt …

        • Nein, das wurde nicht richtig verstanden, weder das, was ich geschrieben habe, noch das, das der Sozialstaat an vielen Stellen versagt.

          Ich bitte Dich den Frust über “das Humanistische” nicht hier in unseren Kommentaren auszulassen, mach das anderswo. Ich bin kein Libertärer, kein Rechter, und werde mich von niemandem so beschimpfen lassen.

          Deine Aufklärungsarbeit in Sachen Waldorfschulen ist Dein Metier, da hast Du hervorragende Artikel geschrieben, aber die letzten Kommentare hier sind plusquamdestruktiv, bitte nicht so mit uns umgehen.

          Danke.

    • Leider erschließt sich mir nicht, was das mit meinem Beitrag zu tun haben soll. Erinnere mich allerdings an die “Tafellöscher” aus meiner Schulzeit; sie waren ähnlich beliebt wie die “Taschenträger”.

      • @ Roland Gugganig, Zitat: “Leider erschließt sich mir nicht, was das mit meinem Beitrag zu tun haben soll.”

        Vielleicht noch mal drüber nachdenken?

        “Tafellöscher” kannte ich nicht, gab’s bei uns am Gymnasium nicht. “Taschenträger” passt zu Ihren Artikeln. Deswegen haben Sie es wohl geschrieben?

        • Wie nett, schon wieder ein ad hominem-Kommentar. Ich mag es, wenn Kommentatoren:innen so reagieren.

          ‘Vielleicht noch mal drüber nachdenken?’ Vielleicht einmal einen Klartext schreiben, und kein verquastes Gelaber. Es tut mir ja leid, wenn wir hier Deinen intellektuellen Ansprüchen nicht genügen. doch ein intellektueller Mensch kann sich auch fürs gemeine Volk ausdrücken, sonst wäre er kein Intellektueller, bitte versuch das doch einmal.

          Wertschätzung dazu wäre auch noch sehr freundlich.

          Danke.

          • @ Dr. Andreas Gradert

            “Vielleicht einmal einen Klartext schreiben, und kein verquastes Gelaber.”

            Sie meinen, Roland Gugganig hat mit seinem “Tafellöscher” / “Taschenträger” versucht, so etwas wie einen “kryptischen ad hominem Kommentar” zu schreiben? Vielleicht können Sie erklären, was er den Leser*innen sagen wollte? Danke!

            Als “intellektuell” möchte ich nicht bezeichnet werden, das ist eine Beleidigung für jemand, der 24/7 “fürs Volk” schreibt, siehe meine Artikel beim Humanistischen Pressedienst, zum Beispiel den letzten: “»Der Sturz der Geister der Finsternis«: Antirassismus bei Rudolf Steiner – oder Wahn?”, https://hpd.de/artikel/sturz-geister-finsternis-antirassismus-rudolf-steiner-oder-wahn-20742

          • Nein, das meine ich nicht, und ich habe es auch nicht geschrieben.

            Aber nun bitte die Antworten auf Rolands und meine Fragen, sonst wird das zu löschbaren Monologen.

  2. Dr. Gerhard Engelmayer sagt:

    Schade um die Zeit!

    • @ Dr. Gerhard Engelmayer

      … den Artikel hätte man nicht lesen müssen, da haben Sie Recht. Aber ich wollte mir ein Bild machen, von den österreichischen Humanisten …

      Und dann habe auch noch nebenbei erfahren, wer im “Beirat” der österreichischen Humanisten ist. Aber darüber rede ich hier besser nicht, sonst wird der Kommentar zensiert. Sowas geht ja gar nicht. Fragen Sie Dr. Gradert.

      • Aber bitte, wir zensieren hier nicht, außer persönliche Beleidigungen, rassistisches Gedankengut, Diskriminierungen und ähnliches.

        Du wirfst einem unserer Beiratsmitglieder vor, ein Rechter zu sein, zu diesem Unfug habe ich Stellung genommen, und Du hast meine Antwort als nichtig abgetan, oder wie bezeichnet man es, wenn jemand auf kein Argument eingeht – ignorant wollte ich nicht schreiben.

        • @ Dr. Andreas Gradert

          Also gut, dann stellen wir Ihren Beirat “Uwe Lehnert” hier öffentlich zur Diskussion. Lehnerts Original-Beitrag – seine Verteidigung von PEGIDA – können Sie selber verlinken, ich bringe hier dazu den Artikel von Christoph Baumgarten, seinerzeit “Österreich-Korrespondent des hpd”:

          “Uwe Lehnert verteidigt Pegida: Nachrichten aus dem Wolkenkuckucksheim”, https://hpd.de/artikel/10858?nopaging=1

          • Und hier die Antwort von Herrn Lehnert:
            Ich bin von dritter Seite auf diesen Artikel aufmerksam gemacht worden. Ich will auf die hier gemachten Unterstellungen nicht eingehen, sondern nur darum bitten, meinen Originalbeitrag auf den Seiten des Humanistischen Pressedienstes (hpd) unvoreingenommen zu lesen (http://hpd.de/artikel/10847), aber auch die diesbezügliche polemische Attacke gegen mich (http://hpd.de/artikel/10858). Bitte dort auch die mich verteidigenden Stimmen zur Kenntnis nehmen. Man wird schnell feststellen, dass es sich um sachkundige und sachlich argumentierende Leser handelt, die nicht im Geringsten irgendwelche rechtsextremen Ansichten vertreten.

            Ich plädiere in meinem hpd-Beitrag dafür, die Motive der Mehrheit der Demonstranten zu erkunden und beziehe mich dabei u.a. auf zwei seriöse Wissenschaftler an der TU-Dresden. Darüber hinaus thematisiere ich mögliche Gründe, die den Sorgen der Demonstranten – nicht den unbelehrbaren und in der Tat fremdenfeindlichen Teilnehmern, die dort auch auftreten – zu Grunde liegen könnten. Dazu zähle ich u.a. einen aggressiven, politisch agierenden Islam, wie er von einem Teil(!) der muslimischen Zuwanderer und ihren Sprachrohren vertreten wird. Bemerkenswerterweise kommen die deutlichsten und begründetsten Warnungen vor einer neuen religiösen Vereinnahmung unserer Gesellschaft von Menschen mit muslimischen Migrationshintergrund: zum Beispiel von Necla Kelek, Hamed Abdel-Samad, Seyran Ates, Mina Ahadi, Nourig Apfeld, Ibn Warraq, Lale Akgün, einst Integrationsbeauftragte(!) der SPD. Alles aufrichtige Menschen, denen Sachverstand, einschlägige Erfahrung und ehrliche Sorge nicht abgesprochen werden kann.

            Zum Ende meines Beitrags sage ich ausdrücklich: »Um möglichen Missverständnissen und Vorwürfen vorzubeugen: Bürgerkriegsflüchtlinge und begründet hier Asylsuchende sollen hier Aufnahme finden. Ich bin persönlich bereit, dafür sogar höhere Steuern zu akzeptieren, das verlangt eine humanistische Einstellung zu Menschen in Not. Auch hier Arbeit suchende Zuwanderer sind willkommen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind. Ich verlange jedoch die vorbehaltlose Anerkennung wesentlicher Prinzipien unserer Verfassung und den grundsätzlichen Respekt vor unseren Gesetzen. Wer diese Forderungen nicht zu akzeptieren bereit ist, ist hier nicht willkommen und sollte sich ein anderes Land suchen.«

            Bin ich nun ausländerfeindlich, vertrete ich rechtsextreme Ansichten, schüre ich Aggressionen gegen das Fremde? Ich bitte darum, dass man sich anhand des Originalbeitrags seine Meinung bildet und sich nicht durch vorschnelle Verurteilung davon abhalten lässt, den Problemen, die mit der Zuwanderung zweifellos verbunden sind, auf den Grund zu gehen.

          • @ Dr. Andreas Gradert

            solange “Uwe Lehnert” Beirat im “Humanistischer Verband Österreichisch” ist, möchte ich nichts mehr mit Ihnen zu tun haben.

            Es wäre gut, wenn keine Kommentare mehr an mich gerichtet würden – ich habe keine Lust mehr, hier noch irgendetwas zu sagen.

          • Aber bitte, Du hast doch mit dem Kommentieren begonnen, nicht ich.

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