Lenart Škof |
Antigones Schwestern

Der slowenische Philosoph und Religionswissenschaftler Lenart Škof bereichert die humanistische Weltgemeinschaft mit einer inspirierenden genealogischen Untersuchung des Phänomens der Liebe. Mittels seiner poetischen Diktion und Erzählkunst vermag der Autor bereits nach wenigen Seiten die Leserschaft zu fesseln und in seine Welt zu entführen, in der Empathie, Sympathie und Liebe im Überfluss präsent sind. Rasch taucht der Leser in die höchstpersönliche Kosmologie des Autors ein und lässt sich willig im Wellenspiel seiner feinsinnigen Worte treiben, um ein wenig von dessen überschwänglicher Liebe einzufangen und in der Zukunft in den eigenen Alltag aufzunehmen.

Zum Inhalt

Die Conditio humana zeichnet sich durch Schwäche, Fehlbarkeit und Verletzlichkeit aus. Immer wieder scheint sinnlose Grausamkeit in unserer Welt zu triumphieren, die durch Dichotomien wie Gut und Böse strukturiert ist. Angesichts dieser Herausforderungen bedarf es eines neuen ethischen Maßstabs. In der Liebe liegt die größte Kraft, die der Mensch zu entfalten vermag. Sie stiftet Verbundenheit sowohl zwischen einzelnen Menschen als auch innerhalb der Gemeinschaft. Darin liegt ihr Geheimnis: die Verbindung von Wesen untereinander. Škof begreift die grundlegende Logik der Liebe als unentgeltliches Geben. Liebe ist ein selbstloses Geschenk, das frei von jeglichem Eigennutz gegeben wird.

Der Autor beabsichtigt mit seinem Werk, einen Beitrag für eine neue Theologie der Liebe zu leisten. Es stellt den zweiten Teil einer Trilogie über Ethik und Kosmologie dar und bildet somit die Fortsetzung des Werkes „Ethik des Atems“ (veröffentlicht im Jahr 2017 im Karl Alber Verlag).

Der Untertitel „Über die Matrix der Liebe“ ist eine Hommage an die Mystik des deutschen Theosophen Jakob Böhme, der im 17. Jahrhundert lebte. Obwohl Böhme zu seinen Lebzeiten von der Orthodoxie als Häretiker verunglimpft wurde, gilt er heute als einer der bedeutendsten Vertreter der christlichen Mystik. In seiner intuitiven und schöpferischen Mystik steht Lenart Škofs Werk dem Mystiker Böhme in nichts nach. Weniger euphemistisch formuliert: Die Lektüre von „Antigones Schwestern“ bereichert den Intellekt, jedoch führt Klugheit bekanntlich nicht zwangsläufig zur Weisheit.

Škof erschließt uns seine Ansichten zur Theologie und Ontologie der Liebe durch Exploration mythischer, biblischer und literarischer Frauengestalten. Er interpretiert Texte zahlreicher großer Denker*innen wie zum Beispiel von Binswanger, Feuerbach, SchellingHölderleinHegelCaputoDerrida und allen voran von Irigaray. Die immense Gelehrsamkeit des Autors, die an den Literaturgiganten Umberto Eco erinnert, führt die Leserschaft zu neuartigen Einsichten und evoziert kontinuierlich Aha-Erlebnisse. Die Wissensvermittlung erfolgt in einer ausdrucksvollen Sprache, die jene, die gewillt sind, sich auf diese einzulassen, begeistern und – im positiven Sinne – bis in die Träume verfolgen wird. Doch die Kehrseite ist, dass auf die Stringenz und Systematik eines klassischen philosophischen Sachbuches verzichtet werden muss.

Škof fordert uns Menschen auf, in unserem Inneren einen gastfreundlichen Ort für andere zu schaffen. Durch ethische Gesten wie Liebkosungen und Mitgefühl können wir eine Welt der Gastfreundschaft für alle Lebewesen, einschließlich der Tiere, gestalten. Der Begriff der Geste spielt in Škofs Mystik eine zentrale Rolle. Die erste Gnade, die wir alle erfahren, ist die Geste der Teilhabe am Atem im Schoß unserer Mütter.

Als Schwestern von Antigone begegnen uns unter anderem AlkestisSavitriMetisVidaMaria, eine Unbekannte von Bethlehem, Clara und Schwester Angelika und immer wieder stellt der Autor einen Bezug zu Jesus her. Anhand seiner vielen Protagonisten entwickelt der Autor eine mystische Kosmologie mit ethischen Implikationen, wobei ihm manchmal sehr schwer zu folgen ist (von Zustimmung kann ohnedies keine Rede sein). Man darf eben nicht dem Fehler unterliegen, „Antigones Schwestern“ als philosophisches Lehrbuch aufzufassen, sondern es ist eine wertvolle Wissensquelle und eine Inspiration für gute Gedanken. Sätze, wie die folgenden, laden zum Nachdenken ein:

Tränen als unserem Körper aufkommend/sich materialisierend – wortwörtlich aus dem Nichts, übertreten die unsichtbare Grenze zwischen Körper und Seele/(Geist?) und stellen unsere vergessenen oder verborgenen Erinnerungen an die uranfänglichen kosmischen Wässer und die weibliche Gottheit dar.

Für wen ist das Werk Antigones Schwestern geeignet?

Antigones Schwestern“ ist ein intellektuell anregendes Werk, keines, das man zwischendurch in der U-Bahn oder im Wartezimmer des Arztes lesen will. Es bedarf der vollen Konzentration, um die in oft lyrischen Sätzen eingebetteten Gedankengänge nachvollziehen zu können und vor allem, um diese auf sich wirken zu lassen. Der „Stille“ ist übrigens ein Abschnitt des Buches gewidmet.

Doch ist es auch ein wahrhaftig philosophisches Werk? Sicherlich, der Autor breitet gekonnt seine hermeneutischen und philologischen Analysen aus und versetzt uns mit seinem umfangreichen literarischen und mythologischen Wissen wiederholt ins Staunen. Indes, Škof strebt nicht mit geisteswissenschaftlich anerkannten Methoden nach Erkenntnis. Mit „Antigones Schwestern“ hat Lenart Škof eine mystisch-axiomatische Schrift erstellt, und ist damit Künder seiner eigenen subjektiven Offenbarung geworden.

Damit noch nicht genug: Obgleich Frauen in diesem Buch die Protagonistinnen sind und schrankenlos, gelegentlich geradezu unerträglich verklärt werden, kann das Werk aus feministischer Perspektive kontroversiell beurteilt werden. Škofs Weltbild beruht auf dem Grundsatz der Geschlechtsdifferenz und er unterscheidet zwischen männlichen und weiblichen Prinzipien. Wiederholt bezieht er sich auf die Psychologin und Schriftstellerin Luce Irigaray, die meint, dass Frauen dank ihrer „gebärmütterlichen Genealogien einen privilegierten Zugang zum Leben hätten“. Škof folgt auch dem chinesischen Denker Kuang-ming Wu, der in der „Gebärmutter-Kraft“ eine weiblich ontologische Präsenz erkennt, die überall zu finden sei, etwa im Wasser, in den Wurzeln, in den Tälern und sogar als Präsenz in uns selbst, die uns als Menschen befähige, demütig, mitfühlend und hingebungsvoll zu sein. Ein derart stereotypisches Bild von Weiblichkeit (und auch Männlichkeit) abseits der Wirklichkeit, als auch die willkürliche, mystische Deutung der physikalischen Welt wie auch die völlig ungerechtfertigte Jesusverklärung trüben den Wert des ansonsten sehr gelungenen Buches und fordern die Toleranzfähigkeit des wissenschaftsaffinen Humanisten, der eine rationale Argumentation bevorzugt, stark heraus. Škofs persönliche Ethik fußt letztendlich in mystischer Fantasterei und ist damit atheistischen Humanist*innen nicht zugänglich. Doch abseits seiner gynozentrischen Thesen wird man als Leser*in mit einer überaus bildenden und inspirierenden Lektüre belohnt. Schließlich, über die Liebe kann man nicht genug lesen.

Übersetzung

Das Werk „Antigones Schwestern“ von Lenart Škof wurde aus dem Slowenischen von Primož Debenjak hervorragend ins Deutsche übersetzt.

Verlag, Ausgaben und Preis

Im Jahr 2023 ist „Antigones Schwestern“ in 1. Auflage im Verlag Karl Alber (Baden-Baden) mit 219 Seiten broschiert in der Reihe „Alber Philosophie“ erschienen. Erhältlich ist es in einer Paperback-Ausgabe (ISBN print: 978-3-495-99408-5) und als E-Book (ISBN online: 978-3-495-99409-2). Der Ladenpreis beträgt laut Verlagsangabe EUR 50,37.

Autor

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