Michael Rosenberger | Krone der Schöpfung?

Ursprünge des christlichen Anthropozentrismus und Möglichkeiten seiner Überwindung

Es mutet beinahe wie eine rezensionsobsessive Blasphemie an, das außergewöhnliche Buch von Univ.-Prof. Dr. Michael Rosenberger mit einer lächerlichen kritischen Anmerkung zu beginnen. Doch der Tadel ergibt sich aus einem leisen Bedauern darüber, dass der Moraltheologe seine Kritik am Anthropozentrismus nicht zu Beginn des Buches inhaltlich darlegt. Dies mag paradox erscheinen, da Rosenberger den christlichen Anthropozentrismus an vielen Stellen seines Werkes geschickt und äußerst prägnant kritisiert und im letzten Kapitel aus der Perspektive von sechs Wissenschaftsdisziplinen überzeugend widerlegt. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, dass der Leser zum Start ein kohärentes Kapitel vermisst, das die Argumente von Theologen, Philosophen, Psychologen, Ethikern, Biologen, Neurologen und Evolutionswissenschaftlern gegen den Anthropozentrismus als solchen systematisch beleuchtet.

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Einleitend versucht der Autor, die aktuelle römische Position zum moralischen Status der Tiere zu bestimmen und vergleicht zu diesem Zweck den Katechismus der katholischen Kirche von 1991 mit der Enzyklika Laudatio Si von Papst Franziskus aus dem Jahr 2015. Der Autor konstatiert der Enzyklika entscheidende Fortschritte gegenüber dem Katechismus. Der Katechismus vertrete „klipp und klar […] die Überzeugung, dass die gesamte Schöpfung letztlich allein um der Menschen willen existiert“, hingegen anerkenne der aktuelle Papst, so der Autor, den Eigenwert der Tiere. Doch auch die Enzyklika trachte nicht danach, den traditionellen Anthropozentrismus des Christentums, den Rosenberger als „genetischen Fehler“ oder „geistesgeschichtliches Fossil“ bezeichnet, zu überwinden. Die Geschöpfe müssten nicht erst für Menschen einen Nutzen erbringen, um einen Wert zu erwerben, sondern ihr Dasein sei in sich wertvoll. Das theologische Argument dafür lautet: Gott freue sich, weil die Geschöpfe sich am Leben erfreuen. Allein durch ihr Dasein würden Tiere Gott preisen und verherrlichen.

Der Vergleich der Enzyklika Laudatio Si mit dem Weltkatechismus ist aufschlussreich. Er bietet wertvolle Einblicke in das Weiterentwicklungspotential der römisch-katholischen Lehre in Bezug auf Umweltethik und Tierrechte. Doch Laien des Kirchenrechts und der römischen Gepflogenheiten erfahren nichts über die Gründe, warum es noch nicht zu einer Überarbeitung des Weltkatechismus gekommen ist. Ebenso wird nicht klar dargelegt, ob es realistisch ist, eine Anpassung des Weltkatechismus zu erwarten oder ob im Gegenteil die Möglichkeit besteht, dass ein neuer, konservativerer Papst als der aktuelle Pontifex, die bisherigen Bemühungen um eine modernisierte christliche Tierethik zunichtemachen könnte.

Eine Schrift über den christlichen Anthropozentrismus bedarf terminologischer Schärfe und inhaltliche Klarheit. Rosenberger will folglich den Begriff Anthropozentrismus näher durchleuchten, um sicherzustellen, dass die Leserschaft seine Argumentation in allen Nuancen versteht. Die drei Perspektiven des Anthropozentrismus, die der Autor im ersten Kapitel vorstellt und eingehend erläutert, sind „methodisch“, „formal“ und „teleologisch“. Die methodische oder erkenntnistheoretische Perspektive untersucht, mit welchen Maßstäben der Mensch umweltethische Urteile fällt. Der Mensch nimmt aufgrund seiner Erkenntnismöglichkeiten die Welt zwingend methodisch anthropozentrisch wahr. Diese Erkenntnis lehre dem Mensch Bescheidenheit, da seine begrenzte Erkenntnisperspektive ihm keine Überheblichkeit in Fragen der Tierethik erlaubt. Die formale Perspektive konzentriert sich darauf, wer die Verantwortung für sein Handeln übernehmen kann. Die teleologische oder materiale Perspektive stellt die Frage, für wen die Erde letztendlich erhalten werden soll. Während der Anthropozentrismus behauptet, dass die Erde allein den Menschen dient, werden alternative Positionen ins Feld geführt. Eine Konzentration auf alle fühlenden Lebewesen oder auf Ökosysteme zeigen neue Wege zur ethischen Bewertung des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur auf.

Der Autor legt Wert darauf, die Begriffe „Anthropozentrismus” und „Anthropozentrik” voneinander abzugrenzen. Spricht man vom „Anthropozentrismus”, ist die teleologische Perspektive, also das Weltbild, gemeint. Das passende Adjektiv dafür ist „anthropozentristisch”. Im Gegensatz dazu sollte man im Zusammenhang mit der formalen und methodischen Perspektiven, da es um die Herangehensweise und Methoden geht, den Begriff „Anthropozentrik” bzw. das Adjektiv „anthropozentrisch” verwenden. Das immense Gewicht dieser begrifflichen Unterscheidung wird deutlich am Beispiel des christlichen Paradigmas der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Der Autor zeigt auf, dass die zentrale Bibelstelle in Gen 1,26 nicht als Beleg für ein anthropozentristisches Weltbild interpretiert werden darf. Stattdessen erkennt er in dieser Stelle eine formale Anthropozentrik. Sie verdeutlicht, dass der Schöpfer dem Menschen die fürsorgliche Verantwortung für all seine Geschöpfe übertragen habe.

Autoren wie Albert Schweitzer, Lynn White und andere, die bereits in Ansätzen die Ursprünge des Anthropozentrismus im europäischen Denken und im Christentum untersuchten, werden im Buch gewürdigt. Als systematischer Theologe will Rosenberger deren Forschungen fortsetzen und präzisieren. Er stellt zehn Kernthesen seiner Abhandlung voran, welche den Leitfaden für seine Ausführungen bilden werden. Die vermutlich wichtigste Kernthese lautet, dass die Ursprünge des christlichen Anthropozentrismus nicht im Alten Testament zu finden sind, sondern in der griechisch-römischen Philosophie der Antike, vornehmlich in der Stoa wurzeln.

Im zweiten Kapitel analysiert Rosenberger die Darstellung von Tieren in biblischen Texten der vorhellenistischen Zeit. Der Autor argumentiert auf Grundlage hebräischer Originaltexte. Die Schriften indizieren eine Partnerschaft zwischen Menschen und Tieren, die der Autor als „Rechtsgemeinschaft“ tituliert. Besonders im Fokus stehen bei Rosenberger die Schöpfungserzählung, die Sintflutgeschichte und die Vision vom Schöpfungsfrieden. Die Schöpfungserzählung zeige, dass Menschen und Tiere gemeinsam von Gott erschaffen wurden und der Mensch von Gott dazu eingesetzt wurde, seine Schöpfung zu pflegen und zu schützen. Die Tora enthalte Gebote, die ein Bewusstsein für die Würde der Tiere verdeutlichen. So sei die Schächtung ein „tiefes Symbol der Ehrfurcht“, weil der Mensch das Tier nicht bis zum letzten Blutstropfen ausnutzen dürfe. Die Visionen vom Schöpfungsfrieden (z. Bsp: „Wolf und Lamm, Panter und Böcklein, Kalb und Löwe, Kuh und Bärin und ihre Jungen, Schlange und Säugling wohnen beieinander, und der Löwe frisst Stroh wie das Rind.“) beschreiben, dass Menschen und Tiere in Harmonie und ohne Gewalt, also vegan, zusammenleben werden, so wie es ursprünglich im Paradies der Fall gewesen sein soll. Dem Sündenfall der ersten Menschen sei es geschuldet, dass die göttliche Schöpfungsordnung gestört wurde und der Mensch das Tier verzerren muss (Anm.: Wie diese Behauptung damit im Einklang zu bringen ist, dass der Mensch seiner Biologie nach ein Omnivore und kein Herbivore ist, behandelt der Autor nicht). Die Sintfluterzählung würde zeigen, dass Tiere nicht nur mit den Menschen im selben Boot sitzen, sie werden anschließend auch zu den Bundespartnern Gottes.

Eine weitere bemerkenswerte Aussage in diesem Kapitel, mit welcher der Theologe bestimmt in Kollegen*innenkreisen auf heftigen Widerspruch stoßen wird, ist die Behauptung, dass nach richtiger Lesart der Genesis nicht der Mensch, sondern der Sabbat die Krone der Schöpfung darstellt (und wäre es nicht der Sabbat, dann die Frau, die nach dem Mann erschaffen wurde).

Das zweite Kapitel ist von zentraler Bedeutung für den weiteren Text, da Rosenberger später immer wieder auf die Tierfreundlichkeit bzw. auf das biozentrische Denken des Alten Testaments bzw. der Tora referenziert. Hier muss man aber kritisch anmerken, dass der Theologe sich, wie es alle Bibelexegeten mit Mission tun, Textstellen herausgesucht hat, die in sein Konzept passen. Er hätte zahlreiche weitere Stellen der heiligen Schriften untersuchen und analysieren müssen, in denen Tiere für das menschliche Wohl oder als Oper an Gott zu sterben haben, bevor er zu dieser apodiktischen Schlussfolgerung gelangt.

Im dritten Kapitel widmet sich Rosenberger den Texten griechisch-römischer Philosophie, beginnend mit der vorsokratischen Epoche. Der Autor liefert nicht nur eine fesselnde Analyse der bekannten Denker, sondern bringt viele weniger bekannte Kritiker der Antike ins Licht. Anhand von Textauszügen vermittelt der Autor ein klares Bild, wie sich aus der „Aloga-These“ des Philosophen Aristoteles über die Zeit der Anthropozentrismus der Stoa entwickelte. Während es Aristoteles darum ging, Tiere als Wesen frei von Logos, also ohne Verstand, Sprache und sittliche Einsicht darzustellen, um damit die Besonderheit des Wesens der Menschen zu unterstreichen, gingen die Stoiker dazu über, den Menschen zum Zweck der ganzen Naturordnung zu erklären.

Im vierten Kapitel untersucht Rosenberger die Texte der vorpatristischen Zeit, also der Epoche vor den Kirchenvätern. Dazu zählen u. a. die Texte der Evangelisten. Ein interessanter Abschnitt erklärt, wie sich das junge Christentum früh vom Schächtungsgebot löste, da man sich der griechisch-römischen Leitkultur und ihren philosophischen Paradigmen anpasste, um missionieren zu können. Judenchrist*innen mit ihren traditionellen Geboten spielten nach wenigen Generationen für die Weiterentwicklung des Christentums keine Rolle mehr.

Im fünften Kapitel verfolgt Rosenberger die tierethischen Spuren in der frühchristlichen Literatur. In dem langen Kapitel werden umfänglich die Texte von 18 (!) frühchristlichen Autoren analysiert und nebenbei die Herausforderungen der damaligen Epoche, als Christ*innen noch eine unbedeutende Minderheit darstellten und in Gruppen zersplittert waren, anschaulich gemacht. Die Kirchenväter übernahmen das stoische geprägte Bild der Scala naturae und erweiterten es noch mit Engeln bis hin zu Gott. Rosenberger erinnert auch daran, dass praktisch alle Kirchenväter unfähig waren, die hebräische-aramäischen Schriften im Original zu lesen, sondern in der Regel nur die griechische Übersetzung kannten. Die Septuaginta sei aber bereits eine fehlerhafte und hellenistische gefärbte Interpretation des Alten Testaments gewesen. Für seine Behauptung liefert Rosenberger in Bezug auf das Verhältnis zu den Tieren mehrere Belegstellen.

Nachdem Rosenberger in den ersten fünf Kapiteln seine Sichtweise dargelegt hat, dass der christliche Anthropozentrismus weder über (vorhellenistisch-)alttestamentliche noch jesuanische Wurzeln verfügt, entfaltet der Theologe im sechsten Kapitel seine eigene Vorstellung einer christlichen Tierethik. Zuerst muss der Theologe aber noch Überzeugungsarbeit leisten, um aufzuzeigen, dass die Aufgabe des Anthropozentrismus keine christlichen Kernbotschaften verrät. Anthropozentrismus ist für ihn keine Offenbarungswahrheit, kein Dogma, sondern „nur eine beständige, aber historisch kontingente und veränderbare Lehre der Kirche“. Hierauf entfaltet der Autor nochmals seine Argumentation für einen holistisch fundierten Biozentrismus.

Die Ausführungen im letzten Kapitel reichen an Umfang und Tiefe der hervorragenden theologischen und historischen Untersuchung nicht heran, vor allem was der ethologische Vergleich von Mensch und Tier betrifft. Nicht nur die Neurowissenschaft, etwa die Thematik der Spiegelhormone, bleibt außen vor. Im Schnelllauf galoppiert der Theologe durch die Felder der Christologie, Soteriologie und Eschatologie, als hätte ihm die Zeit gefällt oder der Verlag hätte eine verbindliche Vorgabe über die maximale Seitenanzahl vorgegeben. Für Gläubige und Theologen werden diese Ausführungen dennoch von großem Wert sein, areligiöse Menschen vermissen die Beschäftigung mit dem Biozentrismus aus der Perspektive der Nonkognitivisten, Amoralisten, Nihilisten, Antinatalisten, etc. Doch dies war nicht die Fragestellung des Buches, denn der Autor wollte die Möglichkeiten zur Überwindung des christlichen Anthropozentrismus aufzeigen, und das ist ihm zu 100 % gelungen.

Für wen ist das Buch „Krone der Schöpfung“ geeignet?

Auch auf die Gefahr hin, zu übertreiben, aber ich halte das Buch für das aktuell verdienstlichste Werk eines Theologen. Es stellt den christlichen Anthropozentrismus auf den Kopf, in dem es mit zahlreichen Argumenten überzeugend darlegt, dass der christliche Anthropozentrismus gar nicht christlich ist. Aber auch viele areligiöse Humanisten, die Humanismus mit chauvinistischen Anthropozentrismus verwechseln, werden in diesem Werk eine vernunftsbasierte Offenbarung erleben.

Theologen und Historiker werden über die Heranziehung der Originaltexte und über die Vielzahl der vorgestellten Autoren begeistert sein. Laien werden den flüssigen, unverkrampften und unepischen Schreibstil schätzen, der leider mehrmals durch lange englischsprachige Zitate durchbrochen wird. Ein Universitätsprofessor sollte wissen, dass man mit direkten Zitaten sparsam umgeht.

Tierschützer, außer die Radikalsten unter ihnen, werden das Buch sowieso lieben.

Es ist aber zu hoffen, dass das Buch „Krone der Schöpfung“ möglichst viele Menschen erreicht und auch in der Kirche Gehör findet. Es ist ein notwendiges Buch, das schon längstens hätte geschrieben werden müssen und man muss Univ.-Prof. Dr. Michael Rosenberger dankbar sein, dass er diese Bürde auf sich genommen und so fantastisch gemeistert hat.

Verlag und Preise

Das Werk ist 2023 in 1. Auflage im Verlag Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG mit 420 Seiten, broschiert erschienen. Im österreichischen Buchhandel kostet die Paperback-Ausgabe (ISBN (Print) 978-3-7560-1148-3) ca. EUR 101,80. Eine elektronische Ausgabe (ISBN (ePDF) 978-3-7489-1709-0) ist auf der Verlagswebseite aktuell kostenlos (!) abrufbar.

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