Theokratie gehört nicht ins Parlament

Stellen wir uns kurz vor, die Menschenrechtssprecherin einer Regierungspartei irgendwo in der EU wäre Muslima und bezöge sich in einer öffentlichen Rede auf Fatwas der Al-Azhar-Universität, und zwar in Fragen über die Aufgaben des Staates und gesellschaftlicher Gruppen. Die Empörung wäre international – von rechts und links, von christlichen und von säkularen Gruppen käme die Ablehnung der Aussagen, verbunden mit vehementen Rücktrittsforderungen.

Unrealistisch? Genau das haben wir jetzt in Österreich, nur in römisch-katholisch. Gudrun Kugler, eine der profiliertesten Vertreter*innen des politischen Katholizismus in Österreich, zitiert in einem offenen Brief an Andreas Babler (als Replik auf dessen Reaktion auf die Nehammer-Burger-Video-Affäre) in normativer Weise den katholischen Katechismus. Sie definiert damit die “Hauptaufgabe des Staates”, verteilt “Verantwortung” an verschiedene “Gruppen und Vereinigungen” und bezeichnet Arbeit als “Pflicht”. In einer an die Öffentlichkeit gerichteten politischen Auseinandersetzung.

Damit trifft sie – als Parlamentarierin, die der Demokratie und dem österreichischen Volk verpflichtet sein sollte – Festlegungen über zentrale Strukturen der österreichischen Gesellschaft, die nicht demokratisch verhandelbar sind, sondern in einer absolutistischen Monarchie vom damaligen Oberinquisitor Ratzinger ausgedacht und festgeschrieben wurden. Das widerspricht eindeutig der “unverbrüchlichen Treue der Republik Österreich”, die sie bei ihrer Angelobung geloben musste. Statt die österreichischen Wähler*innen über Aufgaben des Staates, von Gruppen und Vereinigungen entscheiden zu lassen, meint sie, dies bei einem ehemaligen Oberhaupt einer von sechzehn anerkannten Religionsgesellschaften zu erfahren – aus einem Land, das die Europäische Menschenrechtskonvention bisher nicht ratifiziert hat. Das ist nicht Demokratie, das ist Theokratie. Und eine Vertreterin der Theokratie gehört nicht in den Nationalrat.

Das ÖVP-Parteiprogramm vertritt sie damit auch nicht. Ihre Partei hat eine Definition der wichtigsten Aufgabe des “liberalen Rechtsstaates” in ihrem Programm – ohne Überschneidung mit dem Katechismus. Neben dem Verrat an den Werten der Republik ist sie also auch nicht auf Parteilinie.

Es ist vollkommen in Ordnung, wenn Abgeordnete religiös sind. Gläubige Menschen unterschiedlicher Konfessionen gibt es in jeder Partei. Eine rote Linie wird jedoch überschritten, wenn man nicht mehr im Auftrag der Wähler*innen agiert, sondern für die Interessen einer ausländischen Macht eintritt. Die Religionsfreiheit in Österreich wird gefährdet, wenn eine Volksvertreterin ihre politischen Äußerungen aus einem Katechismus ableitet, der mit vielen Gesetzen und Normen in Österreich in Konflikt steht.

Wie der politische Islam, der Hindu-Nationalismus und der christliche Nationalismus der Trumpisten ist auch der politische Katholizismus eine antidemokratische Bewegung. Sie haben gemeinsam, dass sie glauben, unumstößliche, “gottgegebene” “Wahrheiten” zu repräsentieren (natürlich jeweils andere), und diese über Wahlergebnisse und demokratische Kompromisse stellen, wann immer sie die Gelegenheit dazu haben. In der Minderheit für Demokratie, Toleranz und Grundrechte – sobald sie in der Mehrheit sind, religiöse Autokratie.

Wir können hier auch nicht von einem Einzelfall sprechen. Gudrun Kugler agiert regelmäßig zum Vorteil von Religionsgesellschaften (vorzugsweise der römisch-katholischen). Sie ist zusammen mit Wolfgang Sobotka regelmäßig Mitveranstalterin von Gebetsfrühstücksabenden und anderen Treffen zwischen den Vertreter*innen der Religionsgemeinschaften und Nationalratsabgeordneten. Stolz berichtet sie in ihrem Blog vom Empfang einer “Plattform der Kirchen und Religionsgesellschaften” im Hohen Haus. Abgebildet: Vertreter*innen der 16 anerkannten Religionsgesellschaften – 15 von diesen vertreten zusammen nicht einmal 20 % der Bevölkerung in Österreich, verglichen mit den 30 % Konfessionsfreien, an die keine Einladung erging. Zweck: Die “pluralistische Gesellschaft Österreichs zu stärken” – indem man fast ein Drittel der Bevölkerung ignoriert.

Erst diese Woche hat ein grüner Nationalratsabgeordneter nach einer einmaligen Entgleisung im Alkoholrausch die Konsequenzen gezogen und ist zurückgetreten. Der Schaden, den Gudrun Kugler der österreichischen Demokratie regelmäßig und ohne Problembewusstsein zufügt, ist wesentlich größer. Theokratie hat im Parlament der Republik Österreich keinen Platz – Gudrun Kugler sollte ihre Position jemandem mit einer demokratischen Einstellung zur Verfügung stellen.

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1 Antwort

  1. Thomas H. sagt:

    Wenn die Dame ihren privaten Volksglauben nicht von ihren Aufgaben durch ihren Beruf unterscheiden kann, dann sollte sie auf jeden Fall zurücktreten. Oder “zurückgetreten werden”. Jedenfalls hat ein solches Gedankengut nichts in der Politik eines säkularen Staates zu suchen.

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