Edzard Ernst | Vorsicht Heilpraktiker

Der Mediziner und renommierte Professor em. für die Erforschung von Alternativmedizin, Edzard Ernst, widmet sein neuestes Buch einer fundierten kritischen Analyse der Ansprüche und Praxis von Heilpraktikern. Er beleuchtet die verschiedenen Aspekte des Heilpraktiker-Berufes, darunter deren Ausbildung und die rechtliche Situation in Deutschland sowie die meist fehlende wissenschaftliche Evidenz der Wirksamkeit alternativer Heilmethoden mit der Einschätzung potenzieller Risiken für die Patienten. Das Buch „soll von einer gefährlichen Fehleinschätzung des Heilpraktikerberufs bewahren. Medizinische Parallelwelten mit dem radikal divergierenden Qualitätsstandard – Arzt/Heilpraktiker – sind nicht im Interesse des Patienten und erscheinen für eine aufgeklärte Gesellschaft schlichtweg inakzeptabel“.

Beginnend mit der Geschichte der „Laienhelfer“, die in der NS Zeit in den Berufsstand des Heilpraktikers mündete, führt der Autor anhand relevanter Fakten zur heutigen Situation in Deutschland mit knapp 100.000 Heilpraktikern, die einen jährlichen Umsatz von ca. 1,2 Milliarden Euro erwirtschaften. Ein zentrales Anliegen des Buches ist es, aufzuzeigen, dass viele Heilpraktiker wissenschaftlich nicht belegbare, ja sogar gefährliche Behandlungsmethoden anbieten. Ernst analysiert das vom „Bund Deutscher Heilpraktiker“ postulierte Selbstverständnis, indem er deren Aussagen die Erkenntnisse wissenschaftsbasierter Medizin gegenüberstellt und dabei auf aktuelle Studien, Meta-Analysen und Cochrane-Reviews verweist. Mit der Beschreibung der niederschwelligen Berufsvoraussetzungen sowie der rudimentären Ausbildung von Heilpraktikern weist Edzard Ernst eindringlich darauf hin, dass Medizin in die Hände akademisch ausgebildeter Ärzte und Ärztinnen gehört.

Neben Fragen der Kompetenz, des Wahrheitsanspruches und der Ethik von Heilpraktikern beleuchtet Edzard Ernst auch die „Glaubensbekenntnisse“ der Heilpraktiker, die einer kritischen, evidenzbasierten Überprüfung in den allermeisten Fällen nicht standhalten. Dazu gehört neben vielen anderen auch der sehr häufig verwendete Satz „Wer heilt, hat recht“, den Ernst als Scheinargument widerlegt: „In Wirklichkeit hat nur derjenige recht, der die jeweils bestmögliche Behandlung verabreicht – und das ist nun einmal eine Therapie, die durch solide Evidenz gestützt wird“. Ernst ermutigt die Leserinnen und Leser, sorgfältig zu prüfen, welche Art von Behandlung sie wählen und sich nicht blindlings auf alternative Heilmethoden einzulassen, die nicht ausreichend auf ihre Sicherheit und Wirksamkeit überprüft wurden.

Die Werbemaßnahmen von Heilpraktikern beruhen zu einem guten Teil auf direkten, oder indirekten Angriffen auf konventionelle Medizin; „Apparatemedizin ohne Mitgefühl, zu gewinnorientiert, Fließbandabfertigung, Fehler werden unter den Tisch gekehrt, Big Pharma, schwarz-weiß-Denken, rationalistische Einheitsmedizin“ etc. sind die am häufigsten gebrauchten Vorwürfe. Dazu der Autor: „An diesen Vorwürfen mag einiges richtig sein. Ich habe sicher nicht vor, die konventionelle Medizin zu verteidigen. Ganz im Gegenteil, ich bin der Meinung, dass sie unbedingt verbessert werden sollte. In der Verfolgung dieser Ziele ist es jedoch wenig hilfreich, die heutige Medizin mit etwas zu ersetzen oder zu ergänzen, was ihr über alle Maßen unterlegen ist. Anders ausgedrückt, die Kritik an der konventionellen Medizin ist oft berechtigt, sie wertet jedoch nicht den Stand der Heilpraktiker auf.

„Vorsicht Heilpraktiker“ vermittelt in 16 Kapiteln zu verschiedensten Themenbereichen, ergänzt mit einem ausführlichem Glossar, ein umfassendes Bild der sogenannten alternativen Medizin, wobei Edzard Ernst auch die zur Anwendung kommenden diagnostischen und therapeutischen Verfahren (einschließlich Behandlungen auf den Gebieten der Psychologie, Physiotherapie, Podologie und Logopädie) beschreibt und bewertet. Viele dieser Verfahren sind wissenschaftlich nicht valide und bergen direkte (z.B. falsch positive oder falsch negative Diagnosen) und indirekten Gefahren (z.B. ärztlich verschriebene Medikamente werden abgesetzt), die zu schweren gesundheitlichen Schäden, oder sogar zum Tod von Patienten führen können; der Autor bringt dazu einige Beispiele. Last not least weist er auch auf die Gefahr hin, „dass Heilpraktiker das rationale Denken unterminieren“ und empfiehlt Patienten, die Ansprüche und Aussagen von Heilpraktikern kritisch zu hinterfragen, nicht auf blinde Glaubwürdigkeit zu vertrauen und seriöse Informationsquellen für ihre Gesundheitsentscheidungen zu benützen.

Mit einem Blick in die Zukunft – „Die in diesem Buch angestellten Analysen des Berufsstandes des Heilpraktikers lassen kaum Zweifel darüber aufkommen, dass die heutige Situation nicht akzeptabel ist“ – diskutiert Edzard Ernst zwei Lösungen: Erstens den Beruf des Heilpraktikers gänzlich zu streichen, oder zweitens an die Stelle des bisherigen Heilpraktikers den „Fach-Heilpraktiker“ mit wissenschaftsorientierter Ausbildung und staatlicher Prüfung zu setzen.

„Vorsicht Heilpraktiker“ ist ein fesselndes Buch, das in klarer, verständlicher Sprache, sachlich fundiert ohne Fachjargon, einen kritischen Blick auf die Praktiken alternativer Heilmethoden wirft, wobei Edzard Ernst betont, dass er keineswegs alle von qualifizierten Fachleuten angebotenen Therapien pauschal ablehnt. Seine Kritik richtet sich auf die oftmals fehlende wissenschaftliche Evidenz der verwendeten Methoden und auf die völlig ungenügende Ausbildung und Kontrolle von Heilpraktikern. Er plädiert für eine kritische, evidenzbasierte Herangehensweise an die verschiedenen Heilmethoden und verweist auf Risiken und Gefahren; insbesondere, wenn sie ohne fundierte medizinische Ausbildung und Kenntnisse angewendet werden. Da es eine Vielzahl kontroverser Meinungen zu diesem Thema gibt, werden vermutlich manche Leserinnen und Leser den kritischen Ausführungen des Autors, der sich seit vielen Jahren mit der Wirksamkeit und Sicherheit von alternativen Heilmethoden auseinandersetzt, nicht, oder nur teilweise zustimmen; ihnen allen kann jedoch versichert werden, dass sich der Aufwand des Lesens lohnt.

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1 Antwort

  1. Anmerkung zur Situation in Österreich:
    In Österreich ist die Ausübung der Heilkunst ausschließlich Ärzten und Ärztinnen vorbehalten. Die Ausübung des Berufes des Heilpraktikers sowie die Ausbildung dazu ist durch das Ärztegesetz, bzw. das Ausbildungsvorbehaltsgesetz verboten. Es gibt dort allerdings das Berufsbild der Humanenergetik als „ein umstrittenes Tätigkeits- und Gewerbegebiet, das laut nicht verifizierbarer Eigendefinition durch ihre Vertreter auf „feinstofflicher Ebene“ wirkt, um „körperliche, energetische Ausgewogenheit (wieder-) zu erlangen und dadurch das eigene Wohlergehen verbessern zu können“ und um „Energieblockaden zu lösen und [diese] wieder in Balance zu bringen“ (Wikipedia).

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