Florian Aigner | „Warum wir nicht durch Wände gehen* | *unsere Teilchen aber schon“

Physik, die Königsdisziplin der Wissenschaften, zu verstehen (geschweige zu erforschen), erfordert sehr viel Hirnschmalz, ihre Inhalte und Bedeutung einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, nicht minder. Der Physiker Florian Aigner verfügt über die Fähigkeit, hochkomplexes Wissen spannend aufzubereiten und mit pädagogischem Geschick einschlägig Interessierten gut verständlich nahe zu bringen. Sein neuestes Buch „stellt die vielleicht faszinierendste wissenschaftliche Theorie vor, die sich Menschen jemals ausgedacht haben: die Quantentheorie.“ Es ist ein „Reiseführer durch die Welt der Quanten“, in dem man auf viele „verrückte“ Geschichten und merkwürdige Fragen stößt; ideal für Interessierte, die von dieser Materie noch kaum Ahnung haben, aber auch für bereits „Hineingeschmeckte“, die manches noch genauer verstehen möchten.

„Wer sich mit Quantentheorie beschäftigt, wird sich von Anfang an wundern“.

„Wenn es um Quantenteilchen geht, dann ist unsere Intuition überfordert, unser Bauchgefühl knickt ein, unser Alltagsverstand muss sich geschlagen geben“. In 12 Kapiteln beschreibt Florian Aigner eine Welt unvorstellbar winziger Dimensionen, in der Alltagsbegriffe, wie „Welle“ und „Teilchen“, eher für Verwirrung statt Klarheit sorgen (und nach Meinung des Autors besser mit Begriffen wie „Quantengeschwubbel“, oder „Materieflubber“ beschreibbar wären); Aigner unternimmt es, Schritt für Schritt durch einen Kosmos zu führen, der auf mikroskopischer Ebene ein wildes, unscharfes „Quantengeflimmer“ darstellt. Anhand des Doppelspaltexperimentes erläutert er das Wesen des Lichts, das man nur verstehen kann, wenn man es als Teilchen- und Wellenbild vereint („wobei jedoch weder das Alltagskonzept Welle, noch das Alltagskonzept Teilchen ausreicht, zu erklären, was Licht ist“). Von den sonderbaren Eigenschaften der Teilchen und Wellen führen die Ausführungen zur Welt in kleinsten Portionen, zur Portioniertheit der Natur (Quanten, Quantenwellen, Quantensprünge, Plancksches Wirkungsquantum) sowie weiter zu Nils Bohrs Atommodell und Werner Heisenbergs Unschärferelation. Mit launigen Beispielen aus dem Alltag, ergänzt durch aussagekräftige Zeichnungen, erklärt Florian Aigner bildhaft einleuchtend, wie an sich unanschauliche Vorgänge und komplexe Zusammenhänge verstanden werden können.

Warum die Quantentheorie eine völlig neue Art von Zufall mit sich bringt“, man Wahrscheinlichkeiten zwar berechnen, das tatsächliche Ergebnis einer Messung aber unvorhersehbar bleibt, bilden weitere spannende Ausführungen. Dazu auch das Superpositionsprinzip (Überlagerungszustände) und die „Kopenhagener Deutung“, die den Zufall „als festen Bestandteil der Quantentheorie anerkennt“ – was für ihr Verstehen eine überaus wichtige Rolle spielt.

Die Quantentheorie erklärt die Eigenschaften der Materie; sie erfordert, im Kopf neue Gedanken, neue Konzepte, neue Kategorien wachsen zu lassen.

Um den Titel des Buches zu verstehen, muss man sich vor Augen halten, dass die gesamte Materie ausschließlich aus Objekten besteht, die unendlich klein sind, wobei man sie sich aber wegen ihrer wellenartigen Verteilung nicht wie eine Ansammlung von kleinen Kügelchen mit leerem Raum dazwischen vorstellen darf. „Materie ist eher so etwas wie der Zustand, der zwischen zwei Magneten herrscht – ein flirrendes, vibrierendes Feld aus Kräften und Energie“. Sehr vereinfacht bildet dies – erklärbar mit dem „Standardmodell der Teilchenphysik“, verbunden mit dem „Pauli-Prinzip“ – die Ursache, „warum uns eine Wand aufhält, wenn wir dagegen laufen“.

Die Vielzahl der im Buch behandelten Themen können in dieser Besprechung nur ansatzweise genannt werden. Einige Kapitel behandeln auch in Medien häufig vorkommende Themen, wie z.B. Quantenverschränkung und Quanten-Teleportation. Erstere, von Einstein als „spukhafte Fernwirkung“ bezeichnet, zeigt, wie eine Messung an einem Teilchen den Zustand eines anderen, weit entfernten Teilchens beeinflusst, letztere ermöglicht faszinierende neue Technologien, wie Quantenkryptographie mittels verschränkter Teilchen. Dass auch Schrödingers Katze, Quantenphilosophie und Quantenesoterik ausführlich zur Sprache kommen, versteht sich von selbst. Letztere treibt – von Wunderheilungen, über Gedankenübertragungen bis zu Horoskopen – absurde Blüten; Florian Aigner erläutert humorvoll, welche Fehlschlüsse (und unseriöse Geldmachereien) dahinterstehen: Es gibt keinen Grund für Mystik, „die Quantentheorie ist für uns heute viel leichter zu durchschauen als zur Zeit ihrer Entdeckung“.

„Wie die Quantenphysik unser Leben bestimmt“ bildet das letzte Kapitel des Buches; große Bereiche der Technik und Naturwissenschaften wurden durch die sie völlig verändert. „Aber nicht nur das – auch unser Alltagsleben wurde durch die Quantentheorie völlig aus den Angeln gehoben“; Aigner erklärt in diesem Zusammenhang u.a. Lasertechnik (als Photonen-Kopiermaschine), die Funktionsweise von Solarzellen (der Photoeffekt wandelt Licht in elektrischen Strom um), die Entwicklung und Chancen von Quantencomputern, Quantenmessungen und die Bedeutung der Quantenphysik in der Medizin (MRT und PET).

„Die Quantenphysik hat sich seit den Tagen von Albert Einstein, Marie Curie oder Erwin Schrödinger völlig verändert. Jeden Tag nutzen wir Technologien, die wir auf irgendeine Weise der Quantenforschung verdanken“. / „Das heißt aber noch lange nicht, dass die Quantentheorie damit abgeschlossen ist. Ganz im Gegenteil: Je mehr Fragen man beantwortet, umso mehr neue Fragen kommen dazu“. In diesem Zusammenhang verweist Aigner auf „Vakuumfluktationen“, den „Casimir-Effekt“ und „Van-der-Waals-Kräfte“ (die beispielsweise Geckos ermöglichen, auf glatten Oberflächen senkrecht, oder kopfüber zu laufen). Der Zusammenhang zwischen den kleinsten und größten Dingen im Universum bildet ein weiteres Thema: „Auf mikroskopischer Skala sagen uns Quantentheorien, wie die Kräfte zwischen den Teilchen wirken. Auf astronomisch großer Skala hingegen ist normalerweise die Gravitation die entscheidende Kraft, und die erklärt man heute am besten mit Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie“.

„Das Wunder ist nicht, dass wir mit der Quantentheorie manchmal Schwierigkeiten haben, sondern dass wir mit unserem begrenzten Verstand überhaupt in der Lage sind, die Gesetze der kleinen Teilchen zu erforschen und zu nutzen“.

Populärwissenschaftliche Werke müssen den Spagat bewältigen, interessierte Laien nicht zu überfordern und bereits Fortgeschrittene nicht zu langweilen. Nicht vielen Autoren ist diese Gabe gegeben, Florian Aigner besitzt sie in hohem Maße, sein neues Buch zählt sicherlich zu den Spitzenprodukten dieses Genres (und besitzt gute Chancen, wie seine beiden vorherigen Bücher zu einem Wissenschaftsbuch des Jahres gewählt zu werden). Einigermaßen zu verstehen, wie aus winzigen Quantenfluktuationen zuerst Galaxien, Sterne, Planeten und letztendlich – nach den Gesetzen der Quantenphysik – unsere Welt und wir selbst entstanden sind, ist faszinierend und beglückend (auch wenn man im Detail vielleicht nicht allen Ausführungen gedanklich folgen kann). Viele Themen und Ausführungen des Buches bringen zum Staunen; nicht zuletzt auch die Tatsache, dass wir, trotz des „Quantenschwubbels“ im mikroskopischen Bereich, unsere Welt als eine eindeutig klare Wirklichkeit erleben.

„Warum wir nicht durch Wände gehen“ ist ein Buch, das einschlägig Interessierten oder solchen, die es noch werden möchten, uneingeschränkt empfohlen werden kann, das Thema Quantenphysik wird in seiner großen Komplexizität hervorragend aufbereitet dargeboten. Neben Analogien aus der Alltagswelt bieten Einschübe mit Zusatzinformationen und technischen Erläuterungen sowie gut verständliche Skizzen und ein ausführliches Glossar wichtige Verständnishilfen. Last not least schenkt der Autor Leserinnen und Lesern, die, wie der Rezensent, nicht alles verstanden haben, Trost: „Wer irgendwann das Gefühl hat, Quantenphysik verstanden und gleichzeitig auch nicht verstanden zu haben, der hat Quantenphysik verstanden“.

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