Ein Plädoyer für die Klimaaktivist:innen

Ja, mein Kopf ist rund, damit sich mein Denken ändern kann.

Als ich von der Aktion der Klimaaktivist:innen im Wiener Leopoldmuseum hörte, da dachte ich, dass das “mal wieder so eine bescheuerte Aktion” sei. Auf Facebook ging es dann in einem von Roland Gugganig initiierten Artikel heiss her, mit den üblichen ad hominem Beschimpfungen und zwei nicht ergebnisoffen diskutierenden Fraktionen, von denen jede die absolute Weis:Wahrheit nicht nur mit Löffeln gefressen, sondern sogar gleich mit der Muttermilch eingesogen hat.

Ich habe versucht, zu verstehen, warum diese Aktion genau zu diesem Zeitpunkt stattgefunden hat. Und ein Beitrag meiner Salzburger Freundin Kimbie Humer-Vogel brachte mich auf die Spur, sie zitierte den Blogbeitrag von Ursula Berner. Ursula hat mir erlaubt, ihn hier nachzuveröffentlichen, dafür danke ich ihr.

Der Artikel ist heute morgen auf dem Blog von Ursula erschienen, mit dem Titel:

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Die (Klima)Revolution ist im Elfenbeinturm angekommen
Ein Plädoyer für die Klimaaktivist:innen

Es ist schon wieder passiert – zwei Vertreter der „Letzten Generation“ sind ins Museum gekommen, um aufzurütteln! Eine Farbbombe platzte auf einem Gemälde von Gustav Klimt im Wiener Leopoldmuseum.

Warum machen die das?

Wie bei allen bisherigen Aktionen dieser Art waren sowohl der Zeitpunkt, als auch Ort und Gemälde präzise ausgewählt.

  1. Am 15.11. sponsort die OMV den freien Eintritt für alle.
  2. Das Klimtgemälde beschäftigt sich thematisch mit „Tod und Leben“, entstanden in der Endzeitstimmung kurz vor dem Ersten Weltkrieg.
  3. Das Gemälde ist mit Sicherheitsglas geschützt.
  4. Bilder von Klimt sind eine der Attraktionen, die Tourist:innen nach Wien locken.

Die Grunderzählung der Aktivisten ist klar:

„Wenn ihr so weiter macht, zerstört ihr den Planeten und unsere Zukunft. Unser Ökosystem ist so empfindlich wie diese Gegenstände, die ihr hier hegt und pflegt. Hebt euren Blick doch hoch, über die Grenzen des Elfenbeinturms (Museum). Ihr könnt die kulturellen Schätze nur sicher erhalten, wenn ihr auch die Welt rundherum, das Klima erhaltet. Offenbar versteht ihr die Dringlichkeit nur, wenn wir euch erschrecken. Für einen kurzen Moment sieht es so aus, als wäre das Kunstwerk zerstört. Aber in Wirklichkeit, kann alles wieder weggewischt werden. Unser Planet, unser Klima braucht jetzt die volle Aufmerksamkeit! Engagiert euch für die Klimaschutz! Wagt euch aus dem Elfenbeinturm, trefft unbequeme Entscheidungen – damit das Klima gerettet werden kann: Nur wenn das gelingt, werden auch die Kunstwerke über die Generationen hinaus weiter bestehen können.“

Ad 1. Die OMV

Die Aktion ist ein bewusster Angriff auf die OMV, die sich mit den Sponsoringtagen reinwaschen will. Ein Tag feel good im (Leopold)Museum lenkt davon ab, hinsehen zu müssen, wo es wehtut.  In Wirklichkeit braucht es jetzt sofort einen grundlegenden Umbau der Energieversorgung. Neben einer Jahreskarte fürs Leopold Museum wird auch eine Tankfüllung um 100€ verlost – Klimaschutz und Nachhaltigkeit sehen anders aus.

Wer mehr zur OMV wissen will: „9 Dinge, die Sie über die OMV wissen sollten.“

Ad 2. Das Kunstwerk

Das Thema des Gemäldes von Gustav Klimt ist eine Allegorie auf den hoffungsvollen Zyklus des Lebens und den ständig dräuenden Tod. Entstanden vor dem Ersten Weltkrieg und im Krieg nochmal überarbeitet und düsterer geworden, kann das Bild auch als Referenz auf unsere von Krisen gebeutelte Zeit gelesen werden.

Ad 3. Die Sicherheit

Wie bei allen bisherigen Aktionen wurde auch hier darauf geachtet, das Objekt nicht zu beschädigen oder gar zu zerstören.

Es geht ums Aufrütteln! Die „Letzte Generation“ will uns in unserer Komfortzone erreichen.

Im Museum erhalten wir Objekte und damit eine bestimmte Sicht auf die vergangene Welt. Noch nie konnte so viel Geld und Energie in den Erhalt von Objekten und Artefakten investiert werden wie heute: (Raum)Temperatur, Luftfeuchte, Beleuchtung, sanfte Restaurationen … das alles verbraucht eine Menge an Ressourcen.

Diese hohe Sensibilität und die Fürsorge für „Dinge“ fordern die Klimaaktivist:innen auch außerhalb der musealen Welt ein: für unsere Atemluft, für das Wasser, für die Rohstoffe, für die Energie, für die Nahrungsmittelproduktion …

Wir müssen erkennen, dass all das endlich ist. So zerbrechlich wie die Kunstwerke sind, ist letztlich unser Ökosystem. Wir sind dabei, die letzte Möglichkeit zu verspielen, unseren Planeten als Lebensgrundlage zu erhalten.  Wir sind die letzte Generation, die die Klimakatastrophe noch aufhalten kann. Es reicht nicht mehr, sich in die hehren Räume der Kunst zurückzuziehen. Es ist Zeit zu handeln.

Wenn es uns nicht gelingt, den Planeten und das Klima zu retten, wird alles gleichermaßen untergehen: die Menschen, die Kunstwerke und das kulturelle Erbe.

Ad 4. Der Tourismus und die österreichische Identität.
Ein Farbbeutel auf ein bekanntes Werk trifft viele besonders: Er wird als Angriff auf die österreichische Identität gedeutet.

Das, was wir von Österreich gerne präsentieren, wird hier im übertragenen Sinne beschmutzt. Die Aktion ist auch Symbol für das Beschmutzen der österreichischen Identität und Kunst durch das Öl der OMV.

Gerade weil Klimt ein Hauptattraktor des Tourismus und damit eines des wichtigsten Wirtschaftszweiges in Österreich ist, liest man die Aktion gleichzeitig als Angriff auf Wirtschaft und Tourismus.

Und tatsächlich: wie viele klimarelevante Gesetzesänderungen werden mit Verweis auf „wirtschaftliche Notwendigkeiten“ (Autobahnen, CO2 Steuer, Transportabgaben) oder touristische Notwendigkeiten (Liftausbau, Schneekanonen, Heizschwammerl) hinausgeschoben, oder immer weiter verwässert. 

Die „Letzte Generation“ ist verzweifelt.

Demonstrationen auf der Straße bringen nicht (mehr) genug Aufmerksamkeit. Und vor allem, zu wenig gesetzliche Veränderungen. Weder wissenschaftliche Erkenntnisse noch jahrzehntelanger friedlicher Aktivismus konnten die notwenige breite Aufmerksamkeit erzeugen, um zeitnah eine echte Neuausrichtung von Wirtschaft und Ressourcenverbrauch zu erreichen. Die notwenigen verbindliche Gesetze – mit tatsächlich strafrechtlichen Konsequenzen bei Nicht-Einhaltung – warten noch immer auf Verankerung.

Viele Menschen verstehen diese Nicht-Einhaltungen von Klimaschutzmaßnahmen oder CO2-Werten bis heute nicht mehr als Kavaliersdelikte.

Protest ist immer legitim. Ich bin überzeugt, dass es den Klimaaktivist:innen nicht um Zerstörung geht, sondern ums Aufrütteln. Die Radikalen sind nicht die Klimaaktivist:innen, sondern die Konzerne und Politiker, die trotz aller Erkenntnis und trotz aller sichtbaren Auswirkungen weiter den zerstörerischen Weg fortsetzen: Ausbeutung um jeden Preis!

„Klimaaktivsten werden manchmal als `gefährliche Radikale` dargestellt. Aber die wirklich gefährlichen Radikalen sind die Länder, die die Produktion von fossilen Brennstoffen erhöhen. Investitionen in neue Infrastruktur für fossile Brennstoffe sind moralischer und wirtschaftlicher Wahnsinn.“, sagte kein geringerer als UNO-Generalsekretär António Guterres.

Alle, die noch immer überzeugt sind, dass die Klimaaktivist.innen im Grunde konstruktiv sein wollen, sei das Interview im Standard mit Klimaaktivisten ans Herz gelegt:  „Sagt uns, wie wir protestieren sollen“.

„Klimaschutz mit Augenmaß und Weitblick“ hat Österreich zum Klimaschlusslicht Europas gemacht. Im Gegensatz zu vielen anderen EU-Staaten hat Österreich im Vergleich zu 1990 kaum Emissionen eingespart, was uns schon teuer zu stehen gekommen ist (halbe Milliarde Steuergeld wurden 2014 für das nicht-Erreichen der Kioto-Ziele gezahlt), und uns wahrscheinlich noch Milliarden an Strafen kosten wird. Im Klimaschutzindex  hat sich Österreich zwar ein wenig verbessert, rangiert aber auf dem wenig rühmlichen Platz 32  weltweit, hinter Marokko, Griechenland und Frankreich und vor allem weit hinter dem EU Durchschnitt (der den Platz 19 belegt) https://ccpi.org/country/aut/!

Ich plädiere dazu, nicht Energie mit Strafandrohungen und neuen Sicherheitskonzepten zu verschwenden, sondern genau hinzusehen, was die Klimaaktivist:innen erreichen wollen: Es geht um Diskurs und es geht um konsequente umfassende Änderung des Lebensstils in allen Bereichen, es geht um konkrete gesetzliche Veränderungen: nachhaltige Mobilität, nachhaltige und regionale Landwirtschaft, ressourcenschonende Energiegewinnung, Reduktion von Neubauten, Recycling und Upcycling statt ständig Neuproduktion – auf allen Ebenen.

Es ist noch viel zu tun! Die Klimaaktivist:innen mahnen, dass wir sofort anfangen müssen!


Nehmen wir sie ernst!

Zuerst veröffentlich bei Ursula Berner auf ursulaberner.at.

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1 Antwort

  1. Renate Rauch sagt:

    Die Kunstaktionen der Klimaaktivist*innen sehe ich auch als Aufforderung an die Regierungen, an die Geldbeutel der Oligarch*innen zu gehen: Diejenigen, die solche Kunstwerke für Millionen/Milliarden ersteigern/kaufen können, sollten endlich zur öffentlichen Kasse gebeten werden…

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