Die neue Feminismus-Strategie – Ein Plädoyer für Humanismus

Feministischer Protest

Eine analytische Nachlese zum internationalen Frauentag

von Gerhard Engelmayer

Aus Anlass des Internationalen Frauentages waren zahlreiche Kommentare in allen Medien zu hören und zu lesen. Alle stießen ins gleiche Horn: Die Frauen sind noch immer nicht gleichberechtigt, der Feminismus müsse gestärkt werden. Dies ist zum Teil mit sehr harschen Worten vorgetragen worden, die aus der Dringlichkeit des Problems verständlich sind, aber statt es zu lösen, ein neues Problem schaffen. Ich möchte hier eine zeitgemäße und weniger konfrontative Lösung vorschlagen, die mehr Leute einbindet, zur Sachlichkeit beiträgt und damit das Problem möglicherweise besser löst.

Vorweg möchte ich meiner Überzeugung Ausdruck verleihen, dass die Gleichberechtigung der Frauen mir eine Herzensangelegenheit ist, der ich auch weltanschaulich sehr nahe stehe. Wer wie ich Vater zweier Töchter ist, tut sich bestimmt leichter, das Anliegen der Frauen als vollkommen gerechtfertigt anzusehen und sich ebenfalls dafür einzusetzen. Gleichzeitig fragt man sich, was der Grund für die langsame Entwicklung ist.

Ein Grund könnte sein, dass die Aufstellung der Kämpferinnen für Gleichberechtigung gelinde gesagt ungeschickt und problembehaftet ist. Für den Anfang hat es gereicht, aber wir sind nicht mehr am Anfang. Aus den Aussagen und aus der Stoßrichtung der Befürworter und Befürworterinnen ergibt sich automatisch eine Gegnerschaft zu den Männern, die vollkommen unnötig und kontraproduktiv ist. Viele Männer empfinden die Gegnerschaft als ungerecht und wenig zielführend, würden sogar gerne – wie ich – auf der Seite der Frauen kämpfen, aber nicht gegen „die Männer“.

Die Strategie erweist sich als unklug, weil die Männer in der Argumentation oft als Machos dargestellt werden, was sie in der Mehrzahl gar nicht sind oder sein wollen. Durch diese Strategie der Frauen werden sie mehr oder minder in diese antagonistische Rolle gedrängt und scheiden als Partner in diesem Kampf oft aus. Vernünftiger wäre eine Koalition der Frauen mit den Männern, die wie ich, den Frauen gerne eine gleichbedeutende Rolle in der Gesellschaft einräumen wollen, sich an jeder erfolgreichen und selbstbewussten Frau freuen und den Durchblick für den Mehrwert einer Gleichberechtigung mit einer sinnvollen Zusammenarbeit der Geschlechter schon haben. Eine solche Koalition hätte sicher über 50% an Sympathisanten, während es derzeit schätzungsweise keine 30% sind.

Diese unglückliche Kampfaufstellung kommt zustande, weil man in unserer Gesellschaft den wahren Schuldigen nicht angreifen darf: die Kirche und ihre religiös geprägten Follower, die unter dem Schutz so mancher politischen Partei stehen, weil man sich „mit der Kirche nicht anlegen darf“. Seit Jahrhunderten wird Frauen wie Männern eingehämmert: “Das Weib verhält sich zum Manne wie das Unvollkommene und Defekte zum Vollkommenen.” (Thomas von Aquin, Kirchenlehrer). Und der in Wien so verehrte Abraham a Sancta Clara (1644-1709), dessen Denkmal am Eingang zum Burggarten steht und noch nie beschmutzt wurde, meinte: “…daß ein schön aufgeputzes Weib ein Tempel sei, der über einer Kloake aufgebauet…Wer wird den Koth für einen Gott anbeten wollen?”

Selbst der für 20 Millionen Mitglieder der evangelischen Kirche in Deutschland maßgebende Martin Luther hatte keine für heutige Menschen tragbare Einstellung zum „Weibe“. “Die größte Ehre, die das Weib hat, ist allzumal, daß die Männer durch sie geboren werden.” Kein Wunder also, dass die misogyne Einstellung, die im Volk so tief verankert ist, erst nach längerer Aufklärungszeit wieder in ein vernünftiges Lot gebracht werden kann. Dazu bedarf es aber der Abkehr von prägenden religiösen Einflüssen und eine Hinwendung zu den aufklärerischen Kräften, wie dem Humanismus.

Strategieüberlegungen

Die destruktive Implikation, die immer wieder bei dieser Strategie zutage tritt, ist offensichtlich: Die Männer sind böse und Frauen sind gut. Sie leiden unter dieser Bösartigkeit, wobei sie selbst keinen Anteil an der Misere haben, sie kommen mit einem überdurchschnittlich guten Image dabei weg, was der Wirklichkeit wenig entspricht. Frauen sind natürlich keine Engel. Aber die Grundthese des neuen Paradigmas ist doch fast axiomatisch und könnten alle verstehen: Frauen sind „ganz normale Menschen“. Die zweite Grundvoraussetzung ist: Die Gleichberechtigung der Frauen bedingt die Gleichberechtigung der Männer.

Dabei muss man die Rechte der Frauen stärken, die Frauen müssen an Rechten aufholen. Die Gefahr einer „Aufholungsstrategie“ liegt auf der Hand und ist vorhersehbar: Das Pendel wird über das Ziel hinausschwingen, wenn die Entwicklung des Aufholens einmal voll in Gang gekommen ist, was derzeit bereits der Fall zu sein scheint. Der Feminismus beschäftigt sich dem Namen nach nur mit der Gleichberechtigung der Frauen.

Befeuert wird das negative Image der Männer durch die vielen Gewaltverbrechen an Frauen durch Männer, bei denen sich aufgestaute Wutenergie eruptiv manifestiert. Was Frauen davor zur aufgestauten Wut beigetragen haben, bleibt unbekannt, weil das im Dunkel des Familienalltags und sehr langsam passiert, aber dennoch ist das auch eine Art von Gewaltanwendung, wenn auch eine smartere als Schläge, und sie fällt unter keine gesetzlichen Verbote. Die reine Opferrolle der Frauen in der Beziehung zu Männern scheint mir kein adäquates Bild der Wirklichkeit zu sein.

Ein erster Schritt wäre, die vermutete Verteilung von Schuld für Fehlentwicklungen zwischen Mann und Frau nicht Boulevardzeitungen zu überlassen, die nur an eruptiven Sensationen interessiert sind und nicht an der Wahrheit, sondern die Beurteilung Wissenschaftlern zu überlassen. Als Folge könnte man erwarten, dass wesentlich mehr vernünftige Schritte zur Prävention eingeleitet werden, und zwar auf beiden Seiten, bei Männern und Frauen, statt als populistisch wirksame Maßnahme mehr und höhere Strafen für Männer anzuordnen, die gar nichts bewirken, als wieder Hass zu schüren.

Wie beim Aufgeben des Rauchens ist die beste Strategie, die Vorteile dieses Paradigmenwechsels zu betonen, nicht die Aufgabe von etwas Gewohntem. Sie sind leicht zu argumentieren. Sie reichen von einem harmonischeren Familienleben über einer klügeren Verwendung von Humankapital und Intelligenzressourcen bis hin zu einer gerechteren Gesellschaft im Allgemeinen mit mehr Wertschöpfung. Die Konfrontation mit Männern macht eine solche Argumentation schwieriger.

Männer fühlen sich überdies in dieser Konfrontation kaum angesprochen, wenn sie von Haus aus keine Machos sind und sich kaum mitschuldig an der leidigen Situation der Frauen fühlen. Oft ist es im Leben so, dass zwei Streiter etwas ausbaden müssen, das ihnen ein Dritter eingebrockt hat. Das ist zweifelsfrei hier auch der Fall. Denn die Ungleichheit der Geschlechter ist ein sehr komplexes Problem, das von der Art der Gesellschaft abhängt. In säkularen Gesellschaften hat die Frau bessere Chancen dank eines gleichwertigeren Bildes der Frau, das vorherrscht. Meist sind aber die Verhältnisse über Jahrhunderte so gewachsen und daher tief in der Alltagskultur verankert.

Da die Dinge auch komplex sind und die maßgebende Kraft für die Unterdrückung von Frauen die Religionen sind, wäre Aufklärung wichtig und die Relativierung von kirchlichen Aussagen, wie sie Papst Benedikt XVI. so gehasst hat. Frauen geben nicht nur das Leben an die Kinder weiter, sondern auch die sittlichen und geistigen Maßstäbe in der prägenden Zeit ihrer Entwicklung. Die gesellschaftliche Unterdrückung der Frauen funktioniert nur, wenn der Status der Frau niedrig ist, denn Männer sind nicht von Natur aus frauenfeindlich. Sie müssen dazu gemacht werden. Paulus: „Frauen, seid dem Manne untertan, so wie dem Herrn. Denn der Mann ist das Haupt der Frau, so wie auch Christus das Haupt der Kirche ist.“ (Eph 5,22) und zig andere Stellen in der Bibel untermauern die frauenfeindliche Einstellung, die allseits bekannt ist und kaum bewiesen werden muss.

Die maßgebenden Gründer und Kirchenlehrer im Katholizismus zum Beispiel waren durchwegs maßlose Frauenfeinde. Kirchenvater Augustinus: “Das Weib ist ein minderwertiges Wesen, das von Gott nicht nach seinem Ebenbilde geschaffen wurde. Es entspricht der natürlichen Ordnung, daß die Frauen den Männern dienen.” Selbst in den 10 Geboten waren Frauen auf demselben Niveau angesiedelt wie Sklaven und Vieh, waren also eine Sache. Über Jahrhunderte waren Frauen heftiger Unterdrückung ausgesetzt, als Hexen verfolgt und gedemütigt, als Gebärmaschinen benutzt, um den Militärorganisationen genügend Menschenmaterial als Nachschub zu liefern. Die Selbstbestimmung und die Stimme in der demokratischen Entwicklung haben Frauen zum Teil erst vor wenigen Jahrzehnten errungen.

Wenn es also um die Unterdrückung der Frauen ging, war vor allem die Religion immer ganz vorne zu finden. Niemand hatte ein so ausgeprägtes Interesse an der Frauendiskriminierung wie die Kirche. Die Frauen durften nicht die gleiche Stellung wie ein Priester einnehmen, sie durften sich nicht zu einem Priester bekennen, wenn sie von ihm schwanger wurden, was oft genug der Fall war. Heirat mit einem Priester war seit einem runden Jahrtausend undenkbar, weil die Kirche sonst Teile ihres ausgedehnten Besitzes verloren hätte. Sie arbeitete dem Staat zu, indem der Staat in ausreichender Menge Soldaten bekam und die Unterordnung unter den Herrscher garantieren konnte, der wieder von Gottes Gnaden eingesetzt war. „Halt du sie arm, ich halte sie dumm!“ war das Motto der „erfolgreichen“ Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche.

Erst als in den 1960er Jahren die Pille erfunden wurde und der Staat liberalere Schwangerschafts-unterbrechungen erlaubte, geriet das Machtmonopol der Kirche ins Wanken, denn nun verlor sie langsam die Kontrolle über das Sexualleben der Menschen, die sie früher durch strikte Sexualvorschriften, Beichte und Kirchgang hatte. Damit ging aber auch die Herrschaft über die Bindung an die Kirche verloren, denn ohne einen Zwangshebel war die Kirche machtlos, freiwillig geschah in der Kirche rein gar nichts. Es bedarf des sozialen Druckes.

Über diese Frauendiskriminierung sind viele Bücher geschrieben worden. Es dauerte fast ein Jahrhundert, bis sich die in den Menschenrechten festgelegte Gleichstellung der Frauen durchsetzte und der Kampf von Frauenrechtlerinnen mehr und mehr Erfolg hatte. Dabei bahnten vorwiegend die linken und fortschrittlichen Kräfte in der Gesellschaft den Weg, während die mit der Kirche verbundenen, meistens rechts orientierten politischen Parteien als Bremsklotz der Entwicklung fungierten. Die Kirche blockte ab und fuhr mit den schwersten Geschützen auf. Ihr konnte in Österreich nur ein Kompromiss abgerungen werden, indem man die Fristenlösung gegen eine Auffrischung des Konkordats einhandelte, ein Knebelvertrag für den Staat, der jahrzehntelange Einflusssphären und finanzielle Ressourcen absichert.

Für Religionskritiker wirklich ärgerlich ist die Tatsache, dass sich niemand in der Gesellschaft – auch nicht die Wissenschaft – wagt, diese Zusammenhänge aufzuzeigen und den wahren Schuldigen der Frauendiskriminierung zu benennen, bzw. dafür einzutreten, dass diese Zusammenhänge einer wissenschaftlichen Aufarbeitung zugeführt werden, so dass man vernünftige Schlussfolgerungen ziehen und entsprechende Schritte einleiten kann. Wie kommt es, dass in allen öffentlichen Stellungnahmen die (monotheistischen) Religionen als Quell frauenfeindlicher Politik ausgespart werden?

Eine sofort einsetzbare Konsequenz wäre die Einstellung von Förderungen der Kirche durch den Staat in Milliardenhöhe und der Ersatz des Religionsunterrichtes durch einen Religionen- und Ethikunterricht, wobei nicht mehr Gottvertrauen und Gottesfürchtigkeit (sic!) das Erziehungsziel sind, sondern dass man das Phänomen Religion und Ethik statt kirchliche Moral kennen- und kritisieren lernt. Kirchen geben nie freiwillig Territorien auf, sie müssen dazu gezwungen werden.

Als vor kurzem das oben angeführte Zitat aus dem Epheserbrief im Radio übertragen wurde, kam es in Deutschland zu einem Aufruhr. Jahrhunderte lang fiel das Zitat über die kirchengestützte Untertänigkeit der Frau unter den Mann kaum auf, aber heute müssen manche – auch katholische – Frauen schlucken, wenn sie das hören. Dann sollte man das auch als das benennen, was es ist, nämlich als „aus der Zeit gefallen“. Daraus geht aber auch eindeutig hervor, dass der Katholizismus und alle anderen bibel- und korangestützten Religionen keine Basis für eine moderne Gesellschaft sein können.

Hier werden die alten Klischees, die genau zu dieser religiös inspirierten Denkweise geführt haben, den Kindern brühwarm aufgekocht und wegen des Konkordats über mindestens 600 Religionsstunden serviert, auch auf Kosten der nicht-religiösen Menschen in unserem Land. Darunter befindet sich das Klischee, dass Frauen die Sünde in Form der verführerischen Schlange verkörpern, dem Mann geistig und körperlich unterlegen sind, in der Politik möglichst den Mund halten sollen (siehe Paulus). Konsequenterweise haben 11 europäische Länder das Frauenwahlrecht erst nach dem 2. Weltkrieg eingeführt! Bis zum heutigen Tag ist die Denkweise im Vatikan frauenfeindlich. Wer auf eine Modernisierung der katholischen Denkweise wartet, muss sich sicher noch auf ein paar Jahrhunderte einstellen.

In vielen anderen Ländern, die besonders religiös ausgerichtet sind, haben die Frauen nach wie vor mit massiven Nachteilen zu kämpfen. In den Theokratien, wie dem Iran und Saudi-Arabien ist die Frauenunterdrückung legendär. Diese Haltung strahlt in andere Länder aus und wird teilweise auch in unser Land importiert. Dabei geht es weniger um die einzelnen frauenfeindlichen Gesetze, sondern um die Stellung der Frau im Allgemeinen, ein Umstand von großer Nachhaltigkeit, weil durch die Religion tief im Volk verankert. Die dauernde sexuelle Verfügbarkeit der Frauen ist im Islam sogar ein aus dem Koran entlehnter Propagandaslogan („Die Frauen sind eure Äcker!“).

Der Feminismus braucht langfristig nicht Gegner, sondern Koalitionspartner. Langfristig wird der Feminismus nur Fortschritte in der Gleichberechtigung der Geschlechter erreichen, wenn auch die Gleichberechtigung der Männer parallel voranschreitet. Männer und auch anti-feministische Frauen müssen das Gefühl bekommen, dass die Gesellschaft als Ganzes Fortschritte macht. Mit der derzeitigen Strategie wird das nicht gelingen. Es gibt zwar heute mehr feministisch eingestellte Frauen, insofern hat der Feminismus Erfolg gehabt. Nun geht es aber nicht mehr um Aufmerksamkeit, sondern um Ausgleich und um Abgabe von Macht. Dazu müsste man mehr Teile der Gesellschaft, vor allem die Männer, mitnehmen und motivieren. Mit humanistischen Grundsätzen löst sich das Problem von selbst.

Solange aber rechte und totalitär denkende Menschen wegen ganz anderer Themen im Vormarsch sind, ist die Chance gering, dass sich für die Frauen etwas zum Besseren wendet. Das sieht man an der Entwicklung in Polen. Es wäre daher angebracht, dass man großflächig und gemeinsam mit allen feministischen Organisationen einen humanistischen Weg sucht, bei dem man keine feministischen Kämpfe braucht, die nach Emanzentum riechen. Frauen sollten zweifelsfrei das negative Image der Suffragetten abstreifen können, wenn sie für ihre Rechte eintreten. Nebenbei wird die religiöse Basis als ohnehin sehr brüchig entlarvt.

Die Frauen, die Jahrhunderte lang das Kirchenjoch nicht los wurden, müssten auch erkennen, wer sie unterstützt und wer nicht. Die Kirche ist von der Frontstellung der Frauen gegen die Männer begeistert. Damit und mit ein paar heuchlerischen Sprüchen über „das Wunder Frau“ (der Gynäkologe Johannes Huber) weist die Kirche gemeinsam mit ihren Apologeten die Schuld weit von sich.

Was heute passiert, sind größtenteils Scheinlösungen. Durch das Binnen-I hat noch keine Frau ein besseres Leben erreicht, aber die Sprache ist schwer ramponiert worden, sodass viele Intellektuelle sich gegen solche Augenauswischereien wenden. Aber gerade die wären wichtige Koalitionspartner. Echte Lösungen eruieren Ursachen und versuchen neue Denkmodelle auf Schiene zu bringen, die die alten, ausgemergelten Klischees über Bord werfen. Dazu braucht es mehr als nur einen neuen Anstrich oder kleine Repassier-Arbeiten am zerschlissenen ideologischen Gewebe.

In einst säkularen und fortschrittlichen Staaten wie der Türkei kommt es heute zu revisionistischen Entwicklungen. In ehemals kommunistischen Staaten wie Ungarn und Polen gibt es besorgniserregende Entwicklungen für Frauen, die meist direkt parallel gehen mit dem Erstarken der konservativ-klerikalen Kräfte im Land.

Diese neue humanistische Denkrichtung muss hingegen eine neue charakterliche Haltung produzieren, ist also keine Ideologie im eigentlichen Sinn, im Gegenteil, sie muss die gegenseitige Wertschätzung garantieren und weniger Toleranz für Religion und Ideologien aufbringen, die die menschenrechtliche Absicherung des Individuums, besonders der Frauen, nicht gewährleistet. Das wird mit rein feministischen Maßnahmen nicht umsetzbar sein, so gut diese Maßnahmen auch gemeint sind.

Viel erfolgversprechender ist es, die alten Klischees über Bord zu werfen und langfristig an einer partnerschaftlichen Beziehung zwischen Mann und Frau zu arbeiten. Dazu fehlt im Moment das philosophische Fundament eines Gedankengebäudes, das die tausende Initiativen und Vereine der Zivilgesellschaft in ein humanistisches Narrativ einbettet, das sich mit der Zukunft der Menschheit befasst. Es müsste ein Narrativ sein, das die Religion als normative Kraft in der Gesellschaft ersetzt (aber nicht ausschaltet).

Diese normative Kraft kann der Humanismus sein, mit einem neuen Menschenbild, bei dem die Gleichwertigkeit der Geschlechter schon eingebaut ist. Die alten rechten Ideologien, allesamt Steigbügelhalter der Religionen, sind dazu nicht imstande. Ernst genommene Religionen haben unsere Humanität zerstört und Monstren aus Menschen gemacht. Wird sie aber nicht ernst genommen, wie in weiten Teilen des Westens heute, braucht man sie überhaupt nicht mehr oder sie nehmen etwas Besserem den Platz weg.

Humanismus ist die Sammlung von Grundsätzen, die die Freiheit des Geistes und die Selbstbestimmung des Menschen garantieren, mehr nicht. Humanismus ist keine Ideologie, sondern eine durch und durch philanthrope und naturalistische Haltung. Eine Haltung, die Narrative als solche benennt und in puncto Wahrhaftigkeit wenig Kompromisse kennt, deswegen die Nähe zur Wissenschaft und zu Fakten. Sie geht auf die Aufklärung zurück, von der wir alle heute profitieren, ja leben. Es ist gleichzeitig die Chance für die so wichtige ethische Aufrüstung des Menschen.

Auch im Hinblick auf das wichtigste Ziel der Menschheit, der Bekämpfung des Klimawandels, ist der Humanismus, der die Frauen voll einbindet, genau das richtige, weil im Humanismus keine albernen Erzählungen aus der Bronzezeit den Ton angeben, sondern die Wissenschaft. Wir können uns jetzt keine Bremsklötze mehr leisten.

Als Folge dieser Analyse entsteht ein Auftrag an uns Humanisten: Zusammenarbeit mit fortschrittlichen Frauenorganisationen, Präsentation von Strategien, wie man Frauen für den Humanismus ansprechen könnte und wie sie davon profitieren können. Selbst konservative Frauen sollten diese Strategie begrüßen können, weil man ihnen klarmacht, wer sie unterstützt und wer ein jahrhundertealter Gegner ist.

Strategisch kommt man durch die Einengung und bessere Definition der Zielgruppe eher voran. Dazu kommt, dass – anders als früher – Frauen heute gebildeter sind und die großen gesellschaftlichen Entwicklungen eher durchschauen.

Humanismus ist allerdings eine aufwändige Angelegenheit, weil man selbst denken muss, um zu Selbstbestimmung zu gelangen, das angepeilte Ziel. Heutzutage ist dieses Ziel die Überlebensfrage Nr. 1, weil ansonsten wir alle in einer Staatsreligion, in einer Konsumreligion oder in einer theistischen Religion gleichgeschaltet werden und unser Ich verlieren.

Wie bringt man den Leuten Humanismus bei, wenn sie hinter jedem populistischen, verschwörerischen oder propagandistischen Blödsinn hinterhertrotten und das Denken lieber anderen überlassen? Das hat schon Bertrand Russell beschäftigt, der sagte: „Die Leute wollen lieber sterben, als selbst zu denken und in der Tat, sie tun es!“

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