Replik auf den Gastkommentar von Rudolf K. Höfer in DIE PRESSE

Up-Date: Am 24.11.2023 wurde nachstehender Beitrag in einer leicht gekürzten Version als Leserbrief von der DIE PRESSE in der Printausgabe veröffentlicht.

In der Ausgabe vom 9. November veröffentlichte DIE PRESSE einen Gastkommentar von ao. Univ.-Prof. Rudolf K. Höfer in Ruhe mit dem Titel “Das Schweigen zum Christenschwund“. Als Jurist, der viele Jahre im Dienste des Rechtsstaats tätig war und als Humanist habe ich in einem Leserbrief an DIE PRESSE meine entschiedene Ablehnung gegenüber diesem Gastkommentar zum Ausdruck gebracht. Diese Kritik wurde auch von vielen aufgeklärten Denkern in Leserbriefen an DIE PRESSE geteilt, wie aus diversen humanistischen WhatsApp-Gruppen hervorging. Bedauerlicherweise hat DIE PRESSE zunächst keine dieser Stellungnahmen, sondern nur eine Replik veröffentlicht, die die Forderung des Universitätsprofessors lediglich aus kirchlicher Sicht als semiintelligent entlarvte, ohne auf das wahre Gefährdungspotential einzugehen. Nach einer Urgenz wurde der Beitrag am 24.11.2023 als Leserbrief in der Printausgabe leicht verkürzt veröffentlicht.

Zum beruflichen Hintergrund des Gastkommentators

Kenntnisse über den beruflichen Hintergrund sind entscheidend, um die Äußerungen eines Gastkommentators richtig einordnen zu können. Doch weder der Gastkommentator noch DIE PRESSE klären die Leser darüber auf, dass es sich beim Institut für Kirchengeschichte an der Universität Graz, an der der Gastkommentator lehrte,um kein Institut einer religionswissenschaftlichen Fakultät handelt. Der Gastkommentator ist Theologe.

Es ist nicht meine Absicht theologische Fakultäten zu diffamieren, aber man darf in Österreich noch die Wahrheit schreiben. Anders als die Religionswissenschaft, die in Lehre und Forschung frei ist und ergebnisoffen nach neuem Wissen sucht, ist dies bei einer theologischen Fakultät von Gesetzes wegen (!) nicht der Fall. Das österr. Universitätsgesetz 2002 kennt Sonderbestimmungen u. a. für die katholische Theologie. Die Universitäten, deren Wirkungsbereich sich auch auf Studien der Katholischen Theologie erstreckt, haben bei der Gestaltung ihrer inneren Organisation und der Studienvorschriften sowie beim Lehr- und Forschungsbetrieb das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich aus dem Jahr 1934 zu beachten (vgl. § 38 UniversitätsG). Es ist demnach der Vatikan, der die Letztentscheidung trifft, wer an der Uni was lehren darf.

In Deutschland ist die Situation ähnlich und schon öfters ist in Österreich und in Deutschland ein Universitätsprofessor abberufen worden, weil er von der Lehre der Amtskirche abgewichen ist. Theologische Fakultäten – wenn man sie überhaupt zu den Wissenschaften rechnen möchte, was nicht wenige anerkannte Wissenschaftler abstreiten – sind jedenfalls keine freien Wissenschaften. Anders gesprochen: Theologen sind keine unabhängigen, auf wahre Erkenntnis trachtende Wissenschaftler, sondern man tut gut daran, sie als das anzusehen, was sie sind, nämlich gelehrte Lobbyisten.

Der Gastkommentar des ao. Universitätsprofessors in Ruhe basiert demnach nicht auf objektiven wissenschaftlichen Standards, vielmehr spiegelt es die persönlichen Wünsche eines religiösen Menschen wider, der offenbar tief enttäuscht darüber ist, dass jene Konfession, der er persönlich angehört, sich in einem irreversiblen Niedergang befindet.

Zu den Thesen und Forderungen des Gastkommentators

Dem Gastkommentator ist noch zuzustimmen, wenn er zu Beginn feststellt, dass nach den Rekordzahlen der Kirchenaustritte es aus Sicht der katholischen Kirche nicht die Lösung sein kann, dass Bischöfe beschließen, künftig nur mehr einmal im Jahr die Zahlen über die Mitglieder und Austritte öffentlich mitzuteilen.

Es stimmt ferner sein Befund, dass schon im nächsten Jahr die Zahl der Katholiken unter 50 % zu liegen kommen wird, bestenfalls knapp darüber sein werden.

Doch dann werden die Ausführungen des Universitätsprofessors unwissenschaftlich und gefährlich für unsere säkulare Gesellschaftsordnung. Höfer verortet den Mitgliederschwund der katholischen Kirche primär im Kirchenbeitrag und schlägt vor, dass an Stelle des Kirchenbeitrages der Gläubigen der Staat die Kirchen finanzieren soll, damit weniger Gläubige aus der röm.-kath. Kirche austreten.

Die österreichischen Bischöfe haben in ihrem Amtsblatt schon vor einem Vierteljahrhundert klar den Kirchenbeitrag als Motiv für zwei Drittel der Austritte genannt”, schreibt ao. Univ.-Prof. Rudolf K. Höfer. Völlig im Dunkeln bleibt bei dieser Referenz, wie die Bischöfe zu dieser Aussage gelangt sind. Können Bischöfe Gedanken lesen, haben sie eine Statistik anhand einer Befragung erstellt oder ist es doch nur eine Vermutung gewesen und ist der Befund der Bischöfe noch aktuell?

In der Tat lässt sich die Richtigkeit dieser Behauptung für die gegenwärtige Zeit ausschließen, da die bedeutendsten Austrittswellen in den letzten Jahren unmittelbar nach den aufgedeckten Missbrauchsfällen und den Vertuschungsskandalen in der katholischen Kirche stattfanden. Diese Feststellung wird durch solide Belege gestützt, die sich aus einem Vergleich der Jahreszahlen der Austrittswellen mit den Jahren der öffentlich bekannt gewordenen Missbrauchsskandale ableiten lassen, wie beispielsweise in der hier angeführten Quelle.

Die meisten treten nur vom Zahlen und nicht vom Glauben aus”, wird vom ao. Universitätsprofessor wiederholt behauptet, ohne auch nur einen einzigen wissenschaftlich haltbaren Belege für die These anzuführen. Zusätzlich zu der systematischen Vertuschung von sexuellen, körperlichen und psychischen Missbrauchsfällen an Kindern gibt es zahlreiche weitere Gründe, die der Gastkommentator nicht erwähnt. Dazu zählen die diskriminierende Behandlung von Frauen in der Kirche, das Zölibat, die grässliche Homophobie, das unzeitgemäße Familienbild, die restriktive Haltung zur Abtreibung und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau, die Nähe zu Nationalisten und Rechten und vor allem die Unsinnigkeit der vielen kirchlichen Dogmen und Paradigmen, die der/die Katholik*in als “Glaubensgewissheit” oder “Glaubensmysterium” zu glauben hat.

Anders gesagt, viele Menschen sind nicht nur über den innerkirchlichen Umgang mit pädophilen Geistlichen empört, sondern haben auch die Diskriminierungen von Andersdenkenden satt. Sie lehnen die Anforderung der Amtskirche ab, bedingungslos zu glauben, was diese lehrt. Es stößt sie der unnatürliche Quatsch ab, den die Amtskirche vertritt. Daher basteln sich viele Menschen ihren eignen Glauben, entwickeln ihre eigenen spirituellen Überzeugungen und distanzieren sich ganz bewusst von der Autorität der Kirchenamtsobrigkeit. Die Ersparnis des Kirchenbeitrags ist lediglich ein Kollateralnutzen.

Man beachte, dass all dies trotz des Rechts der Katholiken auf Religionsunterricht geschieht, bei dem die Kinder bereits ab dem ersten Schuljahr mit den Lehren ihrer Religion indoktriniert werden. Die Möglichkeit zum Ethikunterricht erhalten Kinder erst mit 14 Jahren. Was der Gastkommentator auch unerwähnt lässt, ist die Tatsache, dass der Religionsunterricht, der ausschließlich den Interessen der katholischen Kirche dient, vollständig vom Staat finanziert wird, wobei der Staat keinen Einfluss auf den Inhalt des Religionsunterrichts nehmen darf.

Zusätzlich zu dem in Adolf Hitlers Zeiten eingeführten Kirchenbeitrag überweist Österreich jährlich der katholischen Kirche aufgrund des Konkordats einen Betrag von 20.754.000 Euro (siehe aktuellen Zusatzvertrag zum “VERTRAG ZWISCHEN DEM HEILIGEN STUHL UND DER REPUBLIK ÖSTERREICH ZUR REGELUNG VON VERMÖGENSRECHTLICHEN BEZIEHUNGEN”, BGBl. Nr. 195/1960). Dieser Geldfluss wird angeblich als Wiedergutmachung betrachtet, obwohl er in Wirklichkeit als ein langfristiger Knebelvertrag auf Ewigkeit ist. Wissenswert ist auch, dass die Einnahmen der katholischen Kirche zwischen den Jahren 2020 und 2021 trotz der hohen Austrittszahlen auch deutlich aus dem Kirchenbeitrag angestiegen sind. Der Datenexperte Balázs Bárány hat in einem Beitrag für den hpd aufgezeigt, dass die Einnahmen im Jahr 2021 um 15 Millionen Euro auf 499 Millionen Euro gestiegen sind, was einem Wachstum von 3,1 Prozent entspricht. Dieser Trend wird sich voraussichtlich erst in den kommenden Jahren ändern, wenn größere Gruppen der Besserverdiener in Pension gehen und somit ihre Beiträge zu reduzieren beginnen.

Die gesetzlich anerkannten Kirchen profitieren im Übrigen auch von einer Aufweichung des Arbeiternehmer*innenschutzes. Die Arbeitnehmer*innen, die für katholische Einrichtungen arbeiten, und ich meine hier die profanen Arbeitskräfte und nicht die Ordensmitglieder, sind alle arbeitsrechtlich benachteiligt (z.B. kein Arbeitsinspektorat, tw. Aufhebung der Betriebsverfassung).

Jedoch liegt der eigentliche Grund für mein Unbehagen bezüglich des Gastkommentars nicht darin. Es ist legitim, dass der Universitätsprofessor als gläubiger Katholik sich eine positive Entwicklung für seine Kirche wünscht und die realen Herausforderungen seiner Konfession ignorieren und ausblenden möchte. Unakzeptabel ist jedoch seine Forderung, areligiöse Menschen dazu zu zwingen, die katholische Kirche und andere Konfessionen zu finanzieren, lediglich weil die christlichen Konfessionen an Mitgliedern verlieren.

  1. Die Forderung des Gastautors nach einer Steuerwidmung für den Staat oder die Kirchen steht im klaren Widerspruch zu einem säkularen Staat, der eine strikte Trennung von Religion und Staat vorsieht. Die Zunahme der Kirchenaustritte ist ein Problem der Christen. Die islamische Religionsgemeinschaft erfreut sich jedes Jahr über einen starken Mitgliederzuwachs. Das liegt an der Migration, die Österreich fördert oder zumindest zulässt und an den Folgen der Demografie. Katholiken werden in Österreich auch weniger, weil jedes Jahr mehr katholische Menschen sterben, als neue getauft werden. Es ist nicht Aufgabe des Staates, den Niedergang der christlichen Religionen aufzuhalten, er hat sich neutral zu verhalten.
  1. Wie der Gastkommentator völlig richtig feststellt, sind wirklich arme Menschen in Österreich davon befreit, einen Kirchenbeitrag zu zahlen. Folglich sind es Menschen, die sich den Kirchenbeitrag leisten könnten, aber es nicht wollen, die austreten. Die Tatsache, dass die katholische Kirche nicht in der Lage ist, diese Menschen dazu zu bewegen, in der Kirche zu bleiben, sollte nicht durch staatliche Intervention kompensiert werden. Die Forderung des Theologen in seinem Gastkommentar stellt somit eine deutliche Bankrotterklärung der röm.-kath. Kirche dar.
  2. Die Religionsfreiheit gilt auch für areligiöse Menschen, die nicht dazu gezwungen werden dürfen, Organisationen zu finanzieren, deren religiöse Lehren sie ablehnen.
  3. Verschiedene Verfassungsbestimmungen, wie beispielsweise Artikel 66 Staatsvertrag St. Germain, garantieren, dass in Österreich kein Mensch wegen seiner Weltanschauung in seinen politischen Rechten benachteiligt werden darf. Bei der Verteilung von Geldern sollten alle Weltanschauungen berücksichtigt werden, nicht nur die der Kirchen, was jedoch dem Autor nicht in den Sinn kommt.
  4. Hinsichtlich von Sozialleistungen, die von kirchlichen Einrichtungen erbracht werden, ist aufzuklären, dass diese vom Staat nach konkretem Aufwand vollständig abgegolten werden. Zum Beispiel werden in Wien die Leistungen von Trägereinrichtungen der Caritas oder der Diakonie vom Fonds Soziales Wien finanziert, der von der Steuerleistung der Wiener*innen gespeist wird. Dabei kommt es zu einer genauen Kontrolle und Qualitätsüberprüfungen. Der Kirchenbeitrag spielt keine Rolle.
  5. Es wird von mir darauf verzichtet, weiter auf die vom Autor erwähnten Strafen und Sanktionen einzugehen, die gläubige Christen treffen können, wenn sie aus der Kirche austreten. Das subtile Anführen dieses Bedrohungsszenario, das für das Anliegen des Gastkommentators keine weitere Rolle spielt, spricht für sich allein.

Fazit:

Der verzweifelte Appell des Gastkommentators lässt sich aus seiner Gläubigerperspektive nachvollziehen. Allerdings kann nur ein säkularer Staat die Grundprinzipien von Freiheit, Pluralismus, Demokratie, Religionsfrieden, wissenschaftlichem Fortschritt, Freiheit der Lehre, Frauenrechten und Minderheitenrechten gewährleisten. Theokratien sind immer Freiheitsvernichter. Die Idee, Kirchen mit Steuergeldern zu finanzieren, um dem Mitgliederschwund entgegenzuwirken, höhlt den Grundsatz der Säkularität aus. Der Bann wäre gebrochen, die Büchse der Pandora geöffnet. Reaktionären, demokratiefeindlichen, anti-säkularen Thesen, wie sie der Gastkommentator vertritt, muss man entschieden entgegentreten, um eine offene und freie Gesellschaft zu bewahren.

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